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Donnerstag
21.11.2024

Medien / Publizistik

Je jünger, desto weiblicher: In Führungspositionen und in höheren Altersklassen sind Frauen unterrepräsentiert... (Bild: zVg)

Je jünger, desto weiblicher: In Führungspositionen und in höheren Altersklassen sind Frauen unterrepräsentiert... (Bild: zVg)

Schweizer Medienschaffende leiden unter zunehmender Prekarisierung und psychischer Belastung. Auch bei der Diversität gibt es im Schweizer Journalismus Defizite.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Der Klein Report sprach mit Vinzenz Wyss, Journalistik-Professor an der ZHAW und Co-Autor der jüngsten Journalismus-Studie.

Die Unterzeile der neuesten Studie lautet: «Wer sie sind, wie sie arbeiten und was sie plagt». Wie könnte man das in die wichtigsten Befunde fassen?
Vinzenz Wyss: «Die Studie zeigt, dass Schweizer Journalisten und Journalistinnen unter zunehmender Prekarisierung und psychischer Belastung leiden, während die Diversität in der Branche mangelhaft ist. Frauen sind besonders in Führungspositionen unterrepräsentiert; ausserdem steht die zunehmende Akademisierung und Linksorientierung quer zur Forderung nach mehr Diversität. Sorgen bereitet den Journalisten und Journalistinnen auch, dass viele Medienschaffende erniedrigende oder hasserfüllte Äusserungen erleben, was ihre psychische Gesundheit zusätzlich belastet.»

Was ist in Ihren Augen das Auffälligste an den Ergebnissen und was hat Sie vielleicht persönlich am meisten überrascht?
Wyss: «Die mangelnde Diversität vor allem in Bezug auf die hohe Akademisierung, den kleinen Anteil von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund sowie in Bezug auf die weiter nach links verschobene politische Orientierung sollten in der Branche besonders reflektiert werden.»

Immer wieder wird mehr Diversität beim Personal in den Redaktionen gefordert. Die repräsentative Studie für angewandte Medienwissenschaft der ZHAW ist von Vinzenz Wyss zusammen mit Louis Schäfer, Filip Dingerkus und Guido Keel gemacht worden. Wie steht es im Forschungsbereich bezüglich Diversität?
Vinzenz Wyss: «In Bezug auf Alter, Migrationshintergrund, politische Orientierung und Konfession stehen wir gut da. Der hohe Grad an Akademisierung ist mit den Qualifikationsanforderungen an einen Wissenschaftsbetrieb zu erklären; bezüglich Geschlecht gibt es bei der Autorenschaft einen Bias, der jedoch im Personal des Instituts mehr als ausgeglichen wird.»

2015 lag der Anteil der Frauen im Journalismus bei 39 Prozent, 2023 liegt er bei 44 Prozent. In Führungspositionen sind sie aber nach wie vor untervertreten. Welche Gaps und Trends beobachten Sie auf der Geschlechterachse?
Wyss: «Es gibt im Schweizer Journalismus zwar eine noch weiter vorangeschrittene Feminisierung. Frauen sind jedoch in Führungspositionen und in höheren Altersklassen unterrepräsentiert. Nur in der jüngsten Altersklasse sind sie überrepräsentiert.»

Wie steht es um die Repräsentation der Frauen in den klassischen Männerdomänen Politik, Wirtschaft und Sport?
Vinzenz Wyss: «Frauen arbeiten weniger häufig in Ressorts, die sogenannte ‚Hard News Topics‘ wie Wirtschaft und Politik abdecken als Männer und häufiger in solchen, die ‚Soft News Topics‘ wie Kultur und Gesellschaft bespielen. Im Ressort Sport arbeiten weit weniger Frauen als Männer.»

76 Prozent der befragten Journalistinnen und Journalisten positionieren sich links der Mitte, und zwar unabhängig davon, ob sie bei privaten oder öffentlichen Medien arbeiten. Das sind nochmals mehr als 2015 bei der letzten Befragung. Wie erklären Sie sich diese Veränderung seit 2015?
Wyss: «Die Akademisierung sowie die Feminisierung können hier als Variablen zur Erklärung herangezogen werden. Eventuell hat auch die Prekarisierung einen Einfluss. Eine interessante These könnte auch sein, dass in den Schweizer Parlamenten und Regierungen auf Kantons- und Gemeindeebene rechte Parteien recht gut vertreten sind und sich Journalismus immer auch als Kontrollinstanz der Mächtigen versteht.»

Was bedeutet dies bei der Themensetzung in der Berichterstattung?
Vinzenz Wyss: «Wer aus der Selbsteinschätzung der politischen Einstellungen von Journalisten und Journalistinnen Schlussfolgerungen im Hinblick auf deren Berichterstattung ziehen will, sollte dies mit Vorsicht tun. So wäre etwa die Folgerung wenig plausibel, mehrheitlich linksorientierte Journalisten und Journalistinnen würden linke Regierungen oder Parteien unterstützen. Um die Frage tatsächlich beantworten zu können, inwieweit die politische Einstellung das journalistische Handwerk und somit die Berichterstattung beeinflusst, reichen Befragungen nicht aus. Vielmehr müsste die Berichterstattung – beispielsweise zu Wahlen und Abstimmungen – inhaltsanalytisch untersucht werden.»

Was müsste aus Ihrer Sicht gemacht werden, um die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten zu verbessern?
Wyss: «Das Finanzierungsproblem des Journalismus bleibt bestehen. Das Primat der Kosteneffizienz und des ökonomischen Wettbewerbs in Medienunternehmen helfen da auch nicht. Die tiefe Zahlungsbereitschaft beim Publikum auch nicht. Inwiefern alternative Geschäftsmodelle wie Stiftungsförderung oder öffentliche Finanzierung wie etwa bei vielen privaten Radio- und TV-Sendern Druck wegnehmen können, müsste erst noch in Erfahrung gebracht werden.»

Sie sprechen von «Belastungen und Bedrohungen», denen die Medienschaffenden ausgesetzt sind: Wo drückt der Schuh am meisten?
Vinzenz Wyss: «Ein neues stark belastendes Phänomen stellen sicher auf einzelne Journalisten und Journalistinnen zielende erniedrigende oder hasserfüllte Äusserungen sowie die öffentlichen Diskreditierungen ihrer Arbeit dar. Solche Erfahrungen können ernste psychische Belastungen nach sich zu ziehen.»