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Donnerstag
25.08.2022

Medien / Publizistik

«Man begegnet unserer Forschung heute wohlwollend und zumeist konstruktiv», ist fög-Direktor Mark Eisenegger überzeugt. (Bild zVg)

«Man begegnet unserer Forschung heute wohlwollend und zumeist konstruktiv», ist fög-Direktor Mark Eisenegger überzeugt. (Bild zVg)

Beim Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Uni Zürich knallen die Korken: Vor 25 Jahren wurde das Institut gegründet. 

An der Jubiläumsfeier am Donnerstagnachmittag in der Grossen Aula der Uni Zürich werden unter anderem SRF-Direktorin Nathalie Wappler, Nationalrat Jon Pult und SRF-Moderator Franz Fischlin anzutreffen sein.  

Im Vorfeld sprach der Klein Report mit Direktor und Mitbegründer Mark Eisenegger über das Selbstbild und die wechselvolle Geschichte seines Instituts, über die Metamorphose des Journalismus in den letzten 25 Jahren und über das Hickhack zwischen SRG und privaten Medien.

Was hat sich am markantesten verändert in der Medienforschung seit dem Start des Instituts?
Mark Eisenegger
: «Am markantesten ist sicher die Veränderung, dass wir nicht mehr nur journalistische Massenmedien untersuchen. Der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit bringt es mit sich, dass wir heute die digitale Öffentlichkeit in ihrer ganzen Breite mit allen möglichen Informationsanbietern untersuchen, die die digitalen Plattformen und das Internet bevölkern.» 

Was wird denn derzeit am fög dazu genau geforscht?
Eisenegger: «Ein gutes Beispiel ist unser aktuelles Nationalfonds-Projekt: Mithilfe eines Mobile Trackings erfassen wir systematisch sämtliche Informationsquellen, die von jungen Erwachsenen auf ihrem Smartphone genutzt werden. Wie weit der digitale Strukturwandel fortgeschritten ist, zeigt folgendes Ergebnis: Journalistische Medien werden von jungen Erwachsenen durchschnittlich noch während sieben Minuten pro Tag genutzt, obwohl das Smartphone ihre Hauptinformationsquelle ist. Viel wichtiger sind zum Beispiel Streaming-Dienste. Diese Umschichtung der Bedeutung von Quellen in der digitalen Ära nachzuzeichnen, ist heute eine zentrale Zielsetzung des fög.»

Das fög haben Sie 1997 mitbegründet. Wie hat sich das Institut seither personell entwickelt?
Mark Eisenegger: «Wir sind 1997 mit einem relativ kleinen Team von rund 10 Personen gestartet. Mitte der Nullerjahre wuchs unser Institut zwischenzeitlich auf über 60 Personen an. Wir erlebten mit der angewandten Forschung zu Fragen der Reputation von Unternehmen und Behörden einen grossen Boom, und, man muss es rückblickend sagen, wir sind damals zu schnell gewachsen.»

Wie gross ist das fög heute?
Eisenegger: «Heute sind wir zehn wissenschaftliche Mitarbeitende und fünf studentische Mitarbeitende. Wir sind also wieder auf dem Personalbestand, mit dem wir gestartet sind. Wir konzentrieren uns heute auf Grundlagenforschung und die sogenannte öffentliche Wissenschaft. Mit Studien wie dem Jahrbuch Medienqualität wollen wir gesellschaftliche Debatten zu wichtigen Fragen animieren. Weil wir heute auch mit automatisierten Analyseverfahren arbeiten, sind wir im Vergleich zur Boomphase ein relativ kleines, aber schlagfertiges Team.»

Wie ist das fög eigentlich entstanden?
Mark Eisenegger: «Das fög ging 1997 aus einem Nationalfondsprojekt unter der Federführung von Kurt Imhof hervor. Wir untersuchten den Wandel moderner Gesellschaften anhand einer Analyse wichtiger Leitmedien der Schweiz. Wir erfassten über einen Untersuchungszeitraum von fast 100 Jahren, welche Themen in den Medien prominent debattiert wurden, und stellten zum Beispiel fest, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit in gesellschaftlichen Krisenphasen auf ein paar wenige, besonders stark debattierte Kommunikationsereignisse einengt wie in den 80er-Jahren die Waldsterben-Debatte. Nach dem Ende dieses Nationalfondsprojektes beschlossen wir anlässlich einer Retraite in Menaggio, das fög zu gründen. Wir traten an die Uni-Leitung heran und erhielten am soziologischen Institut ein paar Räume, aber noch keine finanzielle Unterstützung. In dieser Startphase waren wir noch mehr Aschenputtel als stolzer Schwan...»

...wie ging die Entwicklung weiter?
Eisenegger: «Die Situation verbesserte sich erst, als Kurt Imhof im Jahr 2000 zum ordentlichen Professor für Soziologie und für Publizistikwissenschaft befördert wurde. Das fög wurde dadurch auch zu einer Abteilung des damaligen Instituts für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ), dem heutigen IKMZ. Diese neue Verbindung war der Startschuss, um die Forschung zum Strukturwandel der Öffentlichkeit zu intensivieren. Wir beobachteten zum Beispiel eine Zunahme von Softnews in den Medien, also weicher Themen zu Human Interest zulasten harter Themen wie Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft. Aus dieser Beobachtung entwickelten wir die Vision vom ‚Jahrbuch Qualität der Medien‘. 2010 veröffentlichten wir die erste Ausgabe.»

War das fög damit in den Institutionen angekommen?
Mark Eisenegger: «Das fög war nicht nachhaltig institutionalisiert und blieb vom Lehrstuhl Imhof abhängig. Es folgten erneute Verhandlungen mit der Universitätsleitung. Das Verhandlungsergebnis liess uns mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Man beschloss, das fög 2013 als so genanntes ‚assoziiertes Institut‘ zu verankern. Damit waren wir zwar ein eigenständiges Institut, unabhängig vom Lehrstuhl Imhof, aber als externes Institut auch weiter aus der Universität Zürich hinausgerückt.»

Kurt Imhof starb 2015 59-jährig nach kurzer Krankheit. Was änderte sich für das fög?
Eisenegger: «Es trat ein, wovor wir uns insgeheim schon länger gefürchtet hatten. Mit Kurt Imhofs Tod verlor das fög seinen Initiator, sein Aushängeschild und auch sein einziges Fakultätsmitglied. Erschwerend kam hinzu, dass ich vor Kurts Tod einen Ruf als Professor an die Uni Salzburg erhalten hatte. Unsere Zukunft war durch die geschwächte Stellung in der Uni Zürich in Frage gestellt. Aber immerhin war es im Rückblick klug, dass das fög 2013 ein assoziiertes Institut geworden war. So konnte das fög ab 2015 auch unabhängig vom Lehrstuhl Imhof weiterbestehen. Und für uns ein Glücksfall war, dass die Universität Zürich anschliessend sowohl den Lehrstuhl als auch das fög institutionell stärken wollte. So entschloss sich die Universität, den Lehrstuhl ‚Öffentlichkeit und Gesellschaft‘ nachzubesetzen. Ich bewarb mich erfolgreich auf die Stelle und konnte die neue Professur auf den 1. Februar 2018 antreten. Auf den 1. Januar 2020 wurde das fög ein Forschungszentrum auf Stufe Fakultät, also auf Augenhöhe mit regulären Instituten der Universität Zürich. 23 Jahre nach der Retraite in Menaggio hatten wir es geschafft: Unser Traum einer eigenständigen Organisation innerhalb der Universität Zürich war in Erfüllung gegangen.»

Wie fühlen Sie sich mit ihren Analysen bei den Medien wahrgenommen und akzeptiert?
Mark Eisenegger: «Die Resonanz und Akzeptanz des ‚Jahrbuchs Qualität der Medien‘ und der Studien haben sich sehr erfreulich entwickelt. Wir dürfen heute sagen: Unsere Forschung zählt zur meistbeachteten im sozialwissenschaftlichen Bereich der Schweiz. Unsere Forschung wird in durchschnittlich 200 journalistischen Newsbeiträgen pro Jahr aufgenommen. Und unser Impact ist auch innerwissenschaftlich gross. Auch die öffentliche Akzeptanz ist gut. Man begegnet unserer Forschung heute wohlwollend und zumeist konstruktiv. Das hat auch damit zu tun, dass wir in der digitalen Ära der Desinformation und der Hassrede im Netz immer wieder auf die Bedeutung des Journalismus beziehungsweise eines entsprechenden Berufsstandes hinweisen.»

Was war für Sie ganz persönlich der interessanteste Moment in dieser Zeit beim fög?
Eisenegger: «Der emotional schwierigste Moment war sicher der Tod Kurt Imhofs. Das traf mich persönlich enorm. Auch weil ich einen Ruf an die Universität Salzburg erhalten hatte, gab es Momente des Zweifels, ob es das fög in die Zukunft schaffen kann. Das ist zum Glück gelungen.»

...und was macht Ihnen an Ihrer Arbeit am meisten Freude?
Mark Eisenegger: «Am meisten Freude macht mir die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir haben heute ein so schlagkräftiges Team wie noch nie zuvor und forschen am unglaublich zukunftsträchtigen Thema des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit. Ich erachte es als grosses Privileg, mit meinem Team über so zukunftsweisende Themen zu forschen.»

Medienkonzentration, Inserateschwund, «Lügenpresse», Exodus in die Sozialen Medien: Seit Jahren wird eine Medienkrise nach der anderen ausgerufen. Wie beurteilen Sie den Status quo der Medienbranche in der Schweiz?
Eisenegger: «Unsere Analysen bescheinigen den Schweizer Newsmedien eine relativ gute Qualität. Nachzulesen zuletzt in der Studie zur Ukraine-Kriegsberichterstattung. Aber natürlich ist das Schweizer Mediensystem mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Die Zahlungsbereitschaft für News ist tief und die Werbeerlöse fliessen an die globalen Tech-Plattformen ab. Generell wird der Journalismus als Folge der Plattformisierung zurückgedrängt. Das zeigt auch unsere neue Tracking-Studie, mit der wir das Informationsverhalten junger Erwachsener untersuchen. Die Zeit fliesst nicht in den Newskonsum, sondern in die Streamingdienste oder das Bewirtschaften der Beziehungen via soziale Netzwerke. Nicht verwunderlich, hat die Newsdeprivation, also die Unterversorgung der Schweizerinnen und Schweizer mit News, weiter zugenommen. Dies ist auch demokratiepolitisch misslich: Leute, die wenig News konsumieren, interessieren sich weniger für Politik, partizipieren weniger am demokratischen Prozess und misstrauen den staatstragenden Institutionen mehr.»

Was sind Ihre ganz persönlichen beruflichen Pläne? Sportlich nachgefragt: Wie lange werden Sie dem fög noch vorstehen?
Mark Eisenegger: «Der Plan ist, dass ich noch so lange mache, was ich mache, wie ich gesundheitlich dazu in der Lage bin. Meine Tätigkeit macht mir nach wie vor grosse Freude. Das fög besteht aber aus weit mehr als nur mir und bereits heute ist seine Leitung auf mehrere Köpfe verteilt, so auf Maude Rivière, Daniel Vogler und Linards Udris. Wir sind also gut vorbereitet, sollte ich früher kürzertreten müssen, was ich nicht hoffe.»

Was würden Sie sich in den nächsten Jahren von der Medienpolitik wünschen und was von den privaten Anbietern und der SRG?
Eisenegger: «Ganz wichtig scheint mir, eine Antwort zu finden auf das Problem der abnehmenden gesellschaftlichen Reichweite des Journalismus. Journalismus ist systemrelevant. Von seiner Nutzung hängt wie gesagt ab, ob sich die Bürgerinnen und Bürger regelmässig am demokratischen Prozess beteiligen, politisches Interesse entwickeln oder in die demokratischen Institutionen vertrauen. Nötig ist deshalb eine bildungspolitische Offensive, die dem Journalismus in den Bildungsinstitutionen und in den Schulen wieder grössere Beachtung Achtung verschafft. Damit in der Schweiz das Qualitätsniveau erhalten werden kann, sind aber auch Investitionen in seine zunehmend prekäre Ressourcenlage notwendig. Nach dem Scheitern des Medienpakets braucht es neue medienpolitische Vorlagen zur direkten und indirekten finanziellen Unterstützung des Journalismus und seiner angrenzenden Institutionen wie dem Presserat oder der schweizerischen Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Von den privaten Anbietern und der SRG wünsche ich mir, dass sie die grossen Herausforderungen, wie sie sich durch die globalen Umwälzungen der Digitalisierung stellen, noch stärker kooperativ angehen. Der medienpolitische Diskurs ist immer noch zu stark durch den Hickhack zwischen Privaten und der SRG geprägt.»

Sie forschen über die Schweizer Medien, verfolgen aber sicher auch die internationalen Entwicklungen. Wo stehen wir da?
Mark Eisenegger: «Ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt zur Medienqualität in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestätigt, dass die Qualität der Newsmedien in der Schweiz noch vergleichsweise gut ist. Die Schweizer Newsmedien leisten also trotz schrumpfender Ressourcen Beachtliches. Darüber hinaus lässt sich sagen: Die nationalen Mediensysteme sind seit Jahren einem fundamentalen Wandel ausgesetzt, der globale Ursachen hat. Triebfeder ist der wirtschaftliche und soziale Durchmarsch der Tech-Plattformen wie Google, Facebook, TikTok und Co. Eine zukunftsträchtige Medienforschung und Medienpolitik muss deshalb heute zwingend den Fokus auf die Plattformisierung und den dadurch ausgelösten Medienwandel richten. Das tut das fög heute schwerpunktmässig. Wir beobachten dann zum Beispiel, dass die Nutzenden sich immer weniger an traditionellen Medienmarken orientieren. Stattdessen nutzen sie auf den Plattformen Informationsbündel aus unterschiedlichsten Quellen, manchmal auch dubiosen.»