Die Gerichte haben es in Zukunft leichter, missliebige Medienartikel zu stoppen. Der Nationalrat ist dem Ständerat bei der Erleichterung der superprovisorischen Verfügung gefolgt.
Mit 183 zu 1 Stimmen hiess der Nationalrat am Dienstagvormittag die revidierte Zivilprozessordnung gut. Zu reden gab vor allem eines: die Superprovisorische, das eigentliche Politikum der ganzen Revisionsdebatte.
Einen unerwünschten Medienbericht können die Gerichte heutzutage stoppen, wenn dieser der gesuchstellenden Partei einen «besonders schweren Nachteil» bringen kann.
Weitere Kriterien müssen erfüllt sein: So darf kein «offensichtlicher Rechtfertigungsgrund» vorhanden sein und die Massnahme dürfen nicht unverhältnismässig erscheinen.
Wie bereits der Ständerat hat nun auch der Nationalrat das Wörtchen «besonders» aus dem Artikel 266 getilgt. Damit genügt den Gerichten in Zukunft nur noch ein «schwerer Nachteil», um eine Superprovisorische anzuordnen und einen Medienbericht zu verhindern.
«In der Vergangenheit ist es tatsächlich vorgekommen, dass Verlage Stories und Schlagzeilen ohne Rücksicht auf menschliche Verluste rausgehauen haben», sagte die Grünliberale Judith Bellaiche am Dienstagvormittag im Nationalratssaal.
Dabei sei der Eindruck entstanden, dass es nur noch um Klicks, Likes und Comments und nicht mehr um die Wahrheitssuche oder den Schutz der Demokratie gehe.
«Es gibt kein gottgegebenes Recht, Existenzen zu zerstören», sagte die Zürcher Nationalrätin weiter. Die meisten Medienberichte seien ja sorgfältig, es gehe nur um wenige Ausnahmefälle. «Aber für diese Menschen ist der Schaden vernichtend und nicht wiedergutzumachen. Es walzt die Betroffenen platt, und häufig stehen sie nie wieder auf.»
Min Li Marti räumte zwar ein, dass nicht ganz klar sei, ob die Streichung des Wörtchen «besonders» in der Praxis tatsächlich viel verändern würde. Das Signal sei aber in jedem Fall «schwierig»: Es besage, dass der Gesetzgeber den Willen hat, Publikationen zu verhindern.
Mit der Senkung der gerichtlichen Hürde sei vor allem jenen geholfen, die sich gute Anwältinnen und Anwälte leisten können. «Das führt dazu, dass kritische Artikel vielleicht nicht publiziert werden und dass heikle Recherchen nicht angegangen werden. Das ist für die Medienfreiheit, aber auch für die Aufklärung und für eine informierte Gesellschaft nicht sinnvoll. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass nur jene, die sich nicht wehren können, an die Öffentlichkeit gezerrt werden, aber die Mächtigen verschont bleiben», sagte die Zürcher SP-Nationalrätin weiter.
Min Li Marti verlegt die Wochenzeitung «P.S.» und sitzt im Vorstand des Verbands «Medien mit Zukunft».
Christian Dandrès erinnerte an den Zeitpunkt, als die Idee, das «besonders» zu streichen, erstmals aufgetaucht ist: Bald nach dem März 2021, als eine Kampagne für das Freihandelsabkommen mit Indonesien geführt worden war. Damals seien Medienberichte verboten worden, insbesondere auf der Informationsseite «Gotham City», wobei es um Ermittlungen gegen einen indonesischen Geschäftsmann, seine Beziehungen zur Schweiz und um mögliche Steuerhinterziehung ging.
«Dieses Verbot kam zum richtigen Zeitpunkt, nur wenige Tage vor der Abstimmung», sagte der Genfer Sozialdemokrat.
Bestimmte Medien würden heute durch rechtliche Mittel in die Enge getrieben. So die linke Tageszeitung «Le Courrier» aus Genf, die nach einem kritischen Leitartikel über einen Waadtländer Geschäftsmann beinahe verschwunden wäre.
«Der Änderungsantrag von Artikel 266 zielt darauf ab, diese Logik weiterzuentwickeln, was nicht akzeptabel ist», so Dandrès vor dem Ratsplenum.
Der Widerstand der Ratslinken gegen die Erleichterung der Superprovisorischen verschallte wirkungslos. Wie schon die kleine Kammer beschloss nun auch der Nationalrat, das Wörtchen «besonders» aus der Zivilprozessordnung zu streichen.
Aber auch noch ein zweites Wörtchen stand am Dienstagvormittag im Rampenlicht. Eine Minderheit der vorberatenden Kommission wollte noch weitergehen und beim Rechtfertigungsgrund das Attribut «offensichtlich» löschen.
Dieses Wort habe nämlich zur Folge, dass vor Gericht «beinahe mit Sicherheit» nachgewiesen werden müsse, dass es weder ein öffentliches Interesse noch eine Einwilligung für einen strittigen Medienbericht gebe, wie Pirmin Schwander in der Ratsdebatte sagte.
Der Schwyzer SVP-Mann plädierte dafür, das Beweismass etwas in Richtung Persönlichkeitsschutz zu «korrigieren». Wie er ausführte, wollte er damit «der offensichtlichen Tendenz entgegentreten, dass Berichterstattungen nur noch entlang der wirtschaftlichen Eigeninteressen, Reichweite, Auflagen und Einschaltquoten erfolgen». Auch stärke dies «verantwortungsvolle Medien» und mahne «reisserische, persönlichkeitsverletzende und vom Hochsitz eines Wächteramts geschriebene Berichterstattungen» an.
Allein der Rat sah das anders und blockte den Minderheitenantrag ab.