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Freitag
03.09.2021

Medien / Publizistik

Kulturberichterstattung ist ein schwieriges Thema. Allerdings sollten wir in der Argumentation heute etwas weiter sein als nur «Kultur ist wichtig». 

In einem Gastbeitrag für den Klein Report kommentiert Lukas Vogelsang, Verleger des Kulturmagazins «Ensuite», die vor Kurzem publizierte Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) über die Kulturberichterstattung .

«Die Schweiz investiert jährlich circa drei Milliarden Steuerfranken in die Subvention und Förderung von ‚Kultur‘. Stiftungen und private Sponsoren oder Gönnerinnen bringen noch rund 1,5 Milliarden dazu. Damit sind wir nahe dem Niveau der jährlichen Militärausgaben der Schweiz. Was kaum jemand weiss. Diese Branche operiert fast ohne Berichterstattung oder eben mediale Begleitung. Das stellt in einer Demokratie Fragen. 

Das FÖG hat jetzt eine Studie veröffentlicht zu diesem Thema. Auftraggeber war der Verein CH-intercultur – ehemals Schweizerischer Feuilletondienst –, der vor einem Jahr die Partnerschaft mit SDA/Keystone beenden musste, kein Geld mehr vom Bundesamt für Kultur (BAK) erhält und jetzt eine neue Existenzberechtigung sucht. 

Dessen Präsident ist Ulrich Gut, Ehemann von Ex-FDP-Kantonsrätin Ursula Gut, just der Mann, der das Gesamtvorwort im Jahrbuch ‚Qualität der Medien 2020‘ geschrieben hat. Er ist – welch Zufall aber auch – seit 2020 Stiftungsratsmitglied der Kurt-Imhof-Stiftung für Medienqualität, welche das Buch ‚Qualität der Medien‘ vom FÖG mitfinanziert. Und mit dem Verein CH-intercultur legt er gleich ein Konzept vor, wie die Kulturberichterstattung in der Schweiz gerettet werden soll. 

Zugegeben: Die Neulancierung von CH-intercultur ist gut geplant und orchestriert – spielt aber schon jetzt ein trauriges Lied vom Abgang, denn das Konzept ist eine Katastrophe. Ich kann das fachlich beurteilen; als einer der dienstältesten Kulturverleger und Kultur-Chefredaktoren in diesem Land, kenne ich die Lebenszyklen fast aller Kulturpublikationen seit über 20 Jahren. 

Die grössten Fehler sind im Grundkonzept ‚Kultur für 0- bis 99-jährige‘, oder wie es das FÖG im Fazit erklärt: ‚Kultur ist darauf angewiesen, auch die breite Bevölkerung zu erreichen.‘ Nun, das sagen auch alle Schuhmacherinnen, die Sockenhersteller, die Migros, Zalando …  

Die FÖG-Studie hat eine wichtige Chance verspielt: Wie kann man eine Kulturberichtertattungsstudie erstellen, ohne die eigentlichen Kulturmedien mit einzubeziehen? So hat das FÖG per Google-Suche 49 Kulturplattformen untersucht, nicht aber befragt – und nur zwei von dieser Liste sind effektive Kulturmedien von ungefähr 40 Kulturmedienerzeugnissen in diesem Land, die zu 100 Prozent nur Kulturelles publizieren und nur kulturinteressierte Leser und Leserinnen vorweisen können. 

Mit gleichem Erfolg könnten wir eine Studie über Zebras in den Berner Alpen erstellen. Das Ergebnis wird logisch sein: Wir brauchen mehr Zebras!

So erträumt sich der Club um CH-intercultur, dass das BAK und Stiftungen ‚ihr‘ Projekt finanzieren. Die Financiers wiederum träumen davon, dass nur noch publiziert wird, was mit Steuergeld oder Stiftungsgeld bereits subventioniert wurde. Um der Bevölkerung zu zeigen, was man grossartiges mit 4,5 Milliarden ‚für die Kultur‘ getan hat. Man will unter sich bleiben. Die eigentliche Kulturkritik aber stirbt aus.»