Westschweizer Filmschaffende beklagen sich auf 24heures.ch, dass welsche Fernsehserien, die eigentlich Swissness verkörpern sollen, mit ausländischem Personal und Equipment gedreht werden. Möglich wird das dank eines belgischen Steuertricks. Und dies schon seit längerer Zeit.
Mehrere Szenen der Serie «Cellule de crise», die 2020 von RTS ausgestrahlt wurde, sollen in den Korridoren der Alma Mater Freiburg spielen. Aber diejenigen, welche die Universität besucht haben, werden feststellen, dass die Lokalität überhaupt nicht ähnlich ist. Und das aus gutem Grund: «Cellule de crise» wurde nicht in Freiburg, sondern in Luxemburg gedreht! Von 60 Drehtagen fanden 31 im Grossherzogtum statt – im Vergleich zu 12 Tagen in Genf, wo die Haupthandlung spielt. Die Gründe liegen in der Finanzierung der Serie.
Bei «Quartier des banques», einer weiteren RTS-Serie, die in der Finanzwelt spielt, wurde zwar in Genf gedreht. Hinter der Kamera standen aber Belgier. Die Logistikagentur kam aus Lyon.
Für 24heures.ch passen solche Zustände nicht zum Versprechen von Gilles Marchand. So habe der Direktor der SRG 2020 geschrieben, dass «ein Land sich auch selbst erzählen, sich vorstellen, sich durch seine Fiktion, seine Geschichten, seine Vorstellungskraft offenbaren muss». Damit wurde ein «mutiges Programm» von sieben bis acht Serien pro Jahr angekündigt, zwei bis drei davon in der Westschweiz.
Seither gibt RTS nach eigenen Angaben jährlich rund 8 Millionen Franken für die Serienproduktion aus. Dieses Geld «bringt einen echten Sauerstoffballon in den gesamten audiovisuellen Zweig der Westschweiz», sagte die französischsprachige Stiftung für Kino, Cinéforom, im Jahr 2020.
Aber in den letzten Jahren hat die Omnipräsenz ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Dreharbeiten für RTS-Serien immer mehr für Unbehagen gesorgt. Lange tabuisiert, wird es heute offen ausgesprochen.
«Ich bekomme regelmässig Anrufe von unseren Mitgliedern, die sich darüber beschweren, dass sie keine Arbeit haben, während Ausländer in der Schweiz an Serien oder Spielfilmen arbeiten», sagt Nicole Barras von der Schweizerischen Film- und Videounion (SSFV), die die Beschäftigten im audiovisuellen Bereich vertritt. Im Welschland sind das 90 der rund 300 Technikerinnen und Techniker in der ganzen Schweiz.
Vor allem die Westschweizer beklagen nun öffentlich, dass ihnen Ausländerinnen und Ausländer die Arbeit wegnehmen.
Die Produzenten entgegnen, dass der Einsatz von ausländischem Personal aufgrund des Mangels an bestimmten Fähigkeiten in der Westschweiz unerlässlich sei. Der Hauptgrund ist aber, wie Serien in einer internationalen Koproduktion finanziert werden.
Zwar erhöhen zusätzliche Gelder von internationalen Produzenten das Volumen und die Qualität der Schweizer Produktionen, sagt Sven Wälti, Leiter Film bei der SRG.
Aber die Ausländer wollen im Gegenzug auch ihre eigenen Leute beschäftigen. Und da nun die Mittel vor allem für RTS manchmal zu gering sind für das, was die Autorinnen und Autoren der Drehbücher geschrieben haben, müsse man versuchen, Geld im Ausland zu finden. Im Gegenzug bedeutet dies gemäss Koproduktionsvertrag, dass im Ausland gedreht werden muss oder ausländische Mitarbeitende in der Schweiz arbeiten.
Mit öffentlichen Beiträgen von rund 4 bis 5 Millionen Franken pro Saison seien französischsprachige Serien des welschen Fernsehens im internationalen Vergleich unterdotiert. Die Deutschschweizer Serien sind besser finanziert und können häufiger komplett in der Schweiz realisiert werden.
Besonders ins Visier der benachteiligten Filmschaffenden in der Romandie ist nun ein belgisches System namens Tax Shelter geraten. Es wurde seit 2016 in 6 der 13 Serien verwendet, die für RTS gedreht wurden, wie es heisst.
Das Prinzip ist einfach: Wenn belgische Techniker eingestellt werden, können 30 bis 40 Prozent des investierten Betrags in Belgien zurückerstattet werden. Das erklärte die belgische Produzentin Isabelle Truc dieses Wochenende am Festival Visions du Réel in Nyon.
Es sei nicht bekannt, wie viel Geld die Produzenten von Westschweizer Serien insgesamt im Rahmen dieses Steuertricks in Belgien ausgegeben haben. Aber bei pro Saison durchschnittlich 500‘000 Euro Ausgaben in Belgien für eine Serie könnten das realistische 3,5 Millionen Franken aus der Romandie sein, die seit 2017 in Belgien investiert wurden. Natürlich mit der entsprechenden Konsequenz für die einheimischen Arbeitskräfte.
Einigen Produktionsfirmen sowie RTS ist es inzwischen nicht mehr ganz wohl bei diesem Deal. Eine Möglichkeit sehen die Involvierten darin, dass man in der Schweiz ähnliche Anreizmechanismen entwickeln könnte. Neben Belgien gibt es solche bereits in Frankreich, Italien oder Österreich.