Dynamische Abo-Preise ist der neuste Kniff in der Print- und Digital-Vermarktung. Was die Skandinavier und Angelsachsen seit geraumer Zeit vormachen, ist nun auch in der Schweizer Medienlandschaft angekommen.
«Ich habe mehrere Jahre die führende Pricing-Beratungsschmiede unserer Branche aus den USA vertreten und wurde dort zu einem marktwirtschaftlichen Freund von ‚Angebot und Nachfrage‘ bekehrt. Wieso soll es ein einheitlicher Preis für alle richten können?», fragt Preisanalyst Sebastian Gehr, der unter anderem bei Mather Economics aus Atlanta Consulting-Erfahrungen sammelte, gegenüber dem Klein Report.
Es sei garantiert, dass ein Einheitspreis für viele potenzielle Abonnenten zu hoch sei. Umgekehrt wären etliche Stammleser bereit, einen höheren Preis zu zahlen. «Solange der Durchschnitts- und nicht der Listenpreis steigt, ist doch jedem geholfen», so der Pricing-Experte weiter.
Gehr kümmert sich seit 2017 mit seiner Firma Media Glocalizer unter anderem um neue Ansätze in der Preisgestaltung von Medienunternehmen.
Bisher war ein flexibles Pricing vor allem bei der Akquise von Neukunden angesagt. Mehr und mehr wird es nun aber auch bei bestehenden Kunden angewandt. Ziel ist es, über alle verkauften Abos hinweg einen höheren Preis herauszuholen.
«Hierbei wird der Kundenbestand in unterschiedliche Kohorten geclustert, um über die datengetriebenen Preiselastizitäten der Kohorten adäquate Abo-Preise auszuspielen», erklärt Gehr.
Gibt es zum Beispiel Anzeichen, dass ein bestimmter Abonnent abspringen könnte, dann kommt «Halten» vor «Hochpreisen». Umgekehrt kann man von einer spendableren Haltung ausgehen, wenn ein Abonnent gut ans Medium gebunden ist.
«Gut gebundene Leser sind vor allem loyale, also langjährige Leser, bei denen die jährlichen Preiserhöhungen über einen längeren Zeitraum jeweils den gefühlten Produktwert aus Kundensicht widerspiegeln konnten.»
Schwieriger sei es zu erkennen, wenn ein Leser mit der Kündigung seines Abos liebäugelt. Reklamationen seien natürlich Hinweise. Aber auch ein Einbruch im Engagement auf den digitalen Kanälen der Zeitung könne ein Warnsignal sein.
Sebastian Gehr geht davon aus, dass «etliche» Abonnenten eigentlich bereit wären, einen höheren Preis zu zahlen als den, den die Verlage ihnen in Rechnung stellen. Und zahlreiche Abonnenten, die kündigen, könnten die Verlage mit Rabatten eigentlich bei der Stange halten.
«Vor allem in den USA gibt es inzwischen zahlreiche Abopreise für das exakt gleiche Produkt. Diese funktionieren nur, weil die Pricing-Struktur gezielt intransparent gehandhabt wird und meist nur noch Akquise-Preise kommuniziert werden», so Sebastian Gehr weiter.
Darauf angesprochen, wie verbreitet flexible Abopreise in der Schweiz bereits seien, sagt Gehr: «Unsere Branche hält sich hier zunehmend bedeckt, da dynamische Preise nur in einem intransparenten Marktumfeld funktionieren können.»
Der lukrativste Hebel liegt für den Pricing-Experten interessanterweise im schon fast totgesagten Print-Geschäft. Dabei sind die Rahmenbedingungen für flexible Preise in der Schweiz günstiger als in Deutschland.
Dort zählt die Branchenorganisation IVW nämlich nur jene Exemplare, die zum fixen Listenpreis verkauft werden, zur «verkauften Auflage» gezählt. Verkäufe zu abweichenden Preisen werden unter «sonstigem Verkauf» rubriziert, was die Werbevermarktung torpediert.
Die Schweizer Wemf sei «viel leserfreundlicher» in dieser Sache, sagt Gehr gegenüber dem Klein Report. Sie erlaubt bis zu 50 Prozent Rabatt vom Standardpreis sowie die «nötige Beinfreiheit» bei Preisen über dem Standardpreis.
«Diese Preisspanne ist bei Bestandskunden bei Weitem nicht nötig, gewährt jedoch viel mehr Spielraum, Neukunden an das eigene Produkt zu binden. Die Haltbarkeit erhöht sich erheblich, wenn man Neuabonnenten nicht gleich nach dem Probeabo auf Listenpreis anhebt.»
Die Wemf oder die IVW in Deutschland stellen Leitlinien bereit, um für den Werbemarkt zwischen werthaltigen und weniger werthaltigen Abonnenten zu unterscheiden. «Was vor 25 Jahren aus Sicht des Werbemarkts gerechtfertigt gewesen sein mag, wirkt sich heute erfolgshemmend auf den viel bedeutungsvolleren Lesermarkt aus.»
In den Niederlanden hätten viele Zeitungsverlage die dortigen HOI zwischenzeitlich abgeschafft. «Das mag der IVW auch blühen, wenn sie sich nicht reformiert, während die Auflagen weiter sinken. Die Wemf scheint hier gottlob eine bewundernswerte Ausnahme zu sein.»
Ungleiche Preise für die gleiche Leistung: Ist eine solche Ungleichbehandlung von Kunden nicht ungerecht?
Gegenüber dem Klein Report kontert Sebastian Gehr mit einer Gegenfrage: «Was ist ethisch gerecht? Dass die zahlungskräftigeren Abonnenten diejenigen quersubventionieren, die einen günstigeren Abopreis erhalten oder dass sich letztere bei einem Einheitspreis gar kein Abo leisten könnten?»