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Mittwoch
16.02.2022

Medien / Publizistik

Artur K. Vogel: ««Mein Herz blutet...»

Artur K. Vogel: ««Mein Herz blutet...»

Fünfzig Jahre lang war ich für gedruckte Zeitungen tätig und bin es heute teilweise noch immer. Doch deren Ende naht.

Ein Kommentar für den Klein Report von Artur K. Vogel, Journalist und Schriftsteller, Chefredaktor «Der Bund» von 2007 bis 2015.

Im Nachhinein kritisierten auch Medien das bachab geschickte Medienförderungspaket, die sich vor der Abstimmung noch vornehm zurückgehalten hatten. Die Vorlage sei überladen gewesen («Tages-Anzeiger»). «Das Paket wuchs und wuchs, und Medienministerin Sommaruga war nicht in der Lage, das Treiben zu beenden» (CH-Media). 

«Die Zeitung als wichtigstes Medium der politischen Meinungsbildung wird geschwächt», schrieb der Chefredaktor der «Berner Zeitung BZ», Simon Bärtschi, nach verlorener Schlacht. Entschuldigung, lieber Simon. Dieser Satz stimmte schon bisher nicht: Bei Publikumsbefragungen und Qualitätsrankings schneidet das öffentliche Radio punkto Zuverlässigkeit und Berichterstattungsqualität meist besser ab als die Printpresse. 

Zudem weist der Satz tief in die Vergangenheit. Denn die Zahl der Leserinnen und Leser, welche ihre Informationen aus der gedruckten Zeitung beziehen, ist in den letzten Jahren massiv geschrumpft. Allein von 2014 bis 2021 sank die gedruckte Auflage des «Blicks» von 164'000 auf 91'000, des «Tages-Anzeigers» von 173'000 auf 114'000 und der «Aargauer Zeitung» und ihrer zahlreichen Kopfblätter von 165'000 auf 119'000. Die politische Meinungsbildung hat nicht darunter gelitten. Meine Töchter (sie sind knapp 30) und alle ihre Freundinnen und Freunde, die ich kenne, nehmen kein Blatt mehr zur Hand und sind dennoch genauso gut informiert wie wir, wenn nicht besser.

Auch ein Teil meiner eigenen Baby-Boomer-Generation liest ihre Zeitungen zunehmend nur noch auf elektronischen Datenträgern. Das ist praktischer und umweltschonender. Zudem kann man direkt auf weiterführende Links klicken. Weshalb die Qualität der Presse leiden soll, wenn sie nicht mehr gedruckt, sondern elektronisch verbreitet wird, erschliesst  sich mir nicht, zumal die meisten Redaktionen dieselben Inhalte wie im Print auch online verbreiten – nur früher und damit aktueller, was ein weiterer Wettbewerbsnachteil der Papierzeitung ist. Das Austragen der Printzeitungen mit noch mehr Millionen zu fördern, wäre also nicht einmal Strukturerhaltung gewesen; man hätte nur den Strukturwandel vielleicht ein wenig verlangsamen können.   

Ich habe fast mein ganzes Berufsleben in den gedruckten Medien verbracht, habe eine mittelmässige Entlöhnung in Kauf genommen, unregelmässige und lange Arbeitszeiten mit der Folge sozialer Entfremdung, einen ungesunder Alkohol- und früher auch Zigarettenkonsum. Wieso? Ganz einfach, weil ich Journalismus für den spannendsten aller Berufe hielt, für den sich jeder Einsatz lohnte. 

Deshalb blutet mein Herz, wenn ich hier schreiben muss: Die gedruckte Zeitung ist ein Modell von gestern. Mit Ausnahme von Spezial- und Hochglanztiteln sowie einiger weniger Zeitungen, die dann zu Luxusprodukten für eine exklusive Klientel werden, wird sie verschwinden, nicht morgen, nicht übermorgen, aber dann, wenn meine Generation und noch ältere das Zeitliche gesegnet haben. Die meisten Printmedien werden nur online weiterleben, und nur dann, wenn sie dort journalistisch überzeugen und damit genug zahlende Leserinnen und Leser ansprechen können, damit sie rentieren. 

Die serbelnden Printtitel und ihre Online-Ausgaben werden durch neue Internet-Medien ergänzt, die auf den Markt drängen, überregionale (beispielsweise «Republik», Watson, nau.ch oder der Klein Report u.a.) sowie regionale (Die Ostschweiz, bajour, Hauptstadt, tsüri, zentralplus und so weiter).

Damit wird das Informationsangebot nicht kleiner, wie uns Verfechter einer staatlichen Presseförderung weismachen wollen, sondern breiter, bunter und, ja: diverser.