Die Enthüllungen der Journalistin Anuschka Roshani im «Spiegel» über massives Mobbing und Sexismus beim «Magazin» hat die Schweizer Medienszene in Aufruhr gebracht. Inzwischen wagen sich auch andere Betroffene aus der Deckung.
Die frühere TV-Journalistin und heutige Finanzfrau Patrizia Laeri äussert sich auf Instagram über einen Belästigungsfall, der während ihres Praktikums bei der SRG vorgefallen sei. Gemäss Laeri hat ein Redaktor versucht, sie gegen ihren Willen zu küssen. Das war zu einer Zeit, als sie als junge Praktikantin bei SRF gearbeitet habe. Laeri musste sich körperlich wehren. Bei der nächsten Praktikantin habe er es auch versucht.
SRF hat umgehend den Dialog mit Laeri gesucht, denn diese machte zum Übergriffigen öffentlich: «Er sitzt immer noch in Leitungsfunktion bei SRF.»
Auch bei Tamedia (TX Group) läuft der Fall Roshani/Finn Canonica weiter.
In der «Magazin»-Redaktion wollte man nach dem Bekanntwerden von Mobbing- und Sexismusvorwürfen mehr wissen. Am Mittwoch ist es im Restaurant Werdino in der Nähe der Redaktion zu einem Treffen zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitenden gekommen.
Den Mitarbeitenden gestellt haben sich Geschäftsführer Andreas Schaffner und Mathias Müller von Blumencron, der interimistisch für den Bereich Publizistik & Produkt in der Geschäftsleitung von Tamedia sitzt. Das Meeting wurde auch gestreamt. Viel Neues sei aber nicht zu hören gewesen, meinen Insider.
Der angeschuldigte Ex-«Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica ist schon vorher abgetaucht. Inzwischen hat er aus dem Nirgendwo einen langen Brief an Freunde und Bekannte geschrieben, den sein Anwalt über den «Blick» weit in den öffentlichen Raum streute.
Demzufolge liegt das Schreiben auch dem Klein Report vor. Mit einer inzwischen gendergerechten Sprache beginnt der Brief mit «Liebe Freund:innen und Bekannte». Dann beklagt sich Canonica über die Veröffentlichung der Aussagen von Anuschka Roshani im «Spiegel» und schildert die Folgen, mit denen er seither leben muss.
«Der Text hatte das Ziel, mir und meiner Familie maximal zu schaden. Tatsächlich ist das, was wir nun erleben, schrecklich. Ich werde in anonymen Mails beschimpft, meine Kinder trauen sich kaum mehr auf die Strasse. Liest man den Text, muss der Eindruck entstehen, ich sei ihr gegenüber ein Monster gewesen.»
Dabei versucht Canonica zu relativieren. Er habe zur damaligen Zeit in seinem Verhalten «kein Problem» gesehen. «Die Sprüche unter Journalist:innen sind oft derb, man nimmt sich hoch, ähnlich wie eine Sportmannschaft», versucht er sich in seiner Verteidigungsstrategie.
Auch Roshani habe sich nie darüber beschwert, sondern das mit Humor hingenommen. Bei den derben Worten sei es um «olle Kamelle» und «alter Schwede» gegangen, versucht er sich herauszureden.
Über die Rolle seiner Vorgesetzten schreibt Finn Canonica: «Ich wurde Mitte August 2021 von Arthur Rutishauser in sein Büro zitiert. Mit dabei war eine HR-Mitarbeiterin. Arthur Rutishauser sagte, sie müssten Vorwürfen nachgehen, die im Zusammenhang mit dem Brief der Frauen an die Tamedia-Leitung im Frühjahr 2021 erhoben worden seien.» Dann wurde Canonica von der HR-Mitarbeiterin in Anwesenheit von Arthur Rutishauser befragt.
Canonica dazu: «Diese Befragung stürzte mich in eine Depression. Tamedia setzte eine interne Untersuchung in Gange. Am 20. September, nachdem ich sieben Wochen kein Wort gehört hatte, meldete sich mein Vorgesetzter Arthur Rutishauser. Er erkundigte sich nach meinem Befinden.»
Weiter schildert er, dass ihn diese anonymen Vorwürfe krank gemacht hätten. Er könne sich nicht vorstellen, wer solche Dinge erzählt habe. Er hätte «ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Kolleg:innen».
Rutishauser soll geantwortet haben, er halte anonyme Anschuldigungen auch für problematisch. Er wolle nun selbst mit allen sprechen.
Am 10. Dezember 2021 wurde Canonica schliesslich ins Büro des Verlegers Pietro Supino zitiert. Im Brief schreibt er dazu: «Er sagte, die Vorwürfe von Frau Roshani seien von ihr selbst in den Verwaltungsrat getragen worden. Er habe keine andere Wahl, als alles nochmals untersuchen zu lassen. Und zwar durch ein externes, spezialisiertes Büro.»
Darauf hätten sämtliche seiner Redaktionskolleginnen und -kollegen, sowie die Praktikantinnen der letzten Jahre, einen Brief an Supino geschrieben. Darin hiess es, die Vorwürfe von Roshani seien absurd. Canonica zitiert aus dem Schreiben: «Ich sei ein super Chef. Im Gegenteil, schrieb eine Person, sie habe sich stets gewundert, weshalb ihre geringe Produktivität von mir geduldet worden sei.»
Schliesslich macht Canonica auch noch bekannt: «Anuschka Roshani und ich haben fast gleichzeitig beim ‘Magazin’ begonnen. Wir hatten unsere Büros nebeneinander, wir sprachen oft miteinander. Wir waren befreundet, haben zusammen auch mal privat etwas unternommen.»
Zum beruflichen Verhältnis meint Canonica heute: «Sie insistierte sogar, dass ich ihre Texte redigiere, weil ich das aus ihrer damaligen Sicht am besten könne.»
Abschliessend versucht Canonica noch einmal zu relativieren: «Ich spreche aber von Ereignissen, die zum Teil fünfzehn Jahre her sind, kaum jemand war damals so sensibilisiert, wie man es heute ist.»
Zum Abschluss der Untersuchung von Tamedia im Juni 2022 zeigt sich Canonica in seinem Brief erleichtert, dass Tamedia zum Glück nun Teile des Berichtes veröffentlicht habe, so dass sich jeder ein «Bild machen kann, was war».
Wobei der Klein Report anmerkt, dass zu diesen Aussagen die Journalistin Anuschka Roshani Stellung nehmen müsste. Sie hat es offenbar ganz anders empfunden als Finn Canonica selber. Da nützt es auch nichts, dass es vor 15 Jahren war, wie Canonica schreibt. Die Fälle bleiben.
Die betroffenen Personen getrauen sich nur nicht zu reden und möglicherweise an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn die Abwehrschlacht über PR-Agenturen und Anwälte kostet Geld und Nerven.