Soziale Netzwerke sind für SRG, ARD oder ZDF unverzichtbar geworden. In Deutschland zählt eine neue Studie nicht weniger als 270 Formate, die die Öffentlich-Rechtlichen auf Facebook, Twitter oder Youtube ausspielen.
Das Ziel dabei ist sonnenklar: Auf den privaten Plattformen sollen hohe Reichweiten her.
Das Brisante daran: Die öffentlich-rechtlichen Sender dienen sich dabei der algorithmischen Mechanik der Netzwerke an – und «gefährden dadurch potenziell die Qualität ihrer Arbeit und stellen ihre Unabhängigkeit in Frage», bilanziert die Studie «Journalismus in den sozialen Netzwerken. ARD und ZDF im Bann der Algorithmen?», die die Otto Brenner Stiftung am Dienstag publiziert hat.
Der Journalist und Medienwissenschaftler Henning Eichler hat dafür alle Formate der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland erfasst, die auf die Plattformen zugeschnitten sind – und sich in den Redaktionen und dem Management umgehört.
Demnach empfinden es viele der befragten Journalisten und Journalistinnen als «Dilemma», tagtäglich zwischen Plattform-Logik und journalistischen Qualitätsansprüchen abwägen zu müssen. Die meisten sähen die Gefahr, «Qualität» für Reichweiten und Klicks zu vernachlässigen.
«Nichtsdestotrotz sind die verschiedenen Kennzahlen der Plattformen fester Bestandteil des Redaktionsalltages, werden durchgängig als ihre ‚Währungen‘ akzeptiert und für redaktions- und senderinterne Evaluationen übernommen», kommt die Studie zum Schluss.
Doch nicht nur Form und Art der Darstellung werden durch die Algorithmen beeinflusst, sondern auch die Auswahl von Themen – und damit die Inhalte selbst.
So kommt es zum Beispiel vor, dass manche Themen in bestimmten Netzwerken nicht mehr umgesetzt werden, weil sie in der Vergangenheit dort keine erfolgreichen Kennzahlen lieferten. Auch orientierten sich die Inhalte in der Art, wie sie daherkommen, an reichweitenstarken Angeboten. Ja, teils ahmen sie sogar nichtjournalistische Vorlagen nach.
Ausserdem diagnostiziert Eichler ein «starkes Machtgefälle zugunsten der Konzerne». Das zeigt sich besonders drastisch, wenn Youtube oder Facebook wieder mal ihre Such- oder Ausspiel-Algorithmen oder die Funktionen der Content-Moderation ändern.
Oder wenn einzelne «Qualitätsangebote» plötzlich von Filtern aussortiert werden. Auch mangelnde Kommunikation und Transparenz kreidet die Studie den Internetkonzernen in diesen Punkten an.
Wer zwischen Plattform und Rundfunk der Koch und wer der Kellner sei, sei überdeutlich.
Es brauche einen Ausweg aus dem «Dilemma», und dieser Weg müsse mehrgleisig sein. In den Handlungsempfehlungen der Studie findet sich unter anderem die Forderung, nichtkommerzielle Plattformen auf- respektive auszubauen. Aber nicht nur an die ARD-Mediathek denkt die Studie, sondern auch an zivilgesellschaftliche Netzwerkstrukturen wie dem sogenannte Fediverse.
Zumindest für den Moment – und wer weiss, wie lange noch – führt kein Weg um die Plattformen herum. Das sieht auch die Studie. In den Redaktionen könne zwischenzeitlich ja mit einer «Digitalethik» nachgebessert werden.
ARD und ZDF müssten ihre Interessen aber auch viel stärker in die Regulierungsvorhaben der Politik gegenüber den Datenkonzernen einfliessen lassen. Der vor der Verabschiedung stehende europäische Digital Services Act könnte ein Ansatzpunkt sein.
«Langfristig sollte jedoch auch über weitergehende Massnahmen nachgedacht werden – beispielsweise eine gesetzlich vorgeschriebene, aber staatsfern kontrollierte algorithmische Sonderstellung von Qualitätsjournalismus», wie es in der Studie heisst.