Fernsehen à la carte wird die TV-Zukunft prägen. Es beschert den Privatsendern mehr Zuschauer, aber nicht automatisch mehr Werbegelder. Und die Primetime drängt die Nischensendungen noch mehr an den Rand, sagt eine neue Nutzungsstudie der SRG.
Mit vier Thesen umreissen die Autoren die Zukunft des Fernsehens. Alle vier kreisen um die zeitversetzte TV-Nutzung. Und alle vier basieren auf Interviews mit TV-Konsumenten, die häufig zeitversetzt fernsehen.
Die erste These ist schon fast selbstredend: Die Möglichkeit, sich seine Sendungen zeitversetzt zusammenzustellen, führe dazu, dass viele sich vor allem das anschauten, worauf sie Lust haben. Und dies sei vor allem das, «was gut unterhält». Die Studie, hinter der die Abteilung Markt- und Publikumsforschung des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) steht, wertet dies als «Verarmung der Vielfalt von genutzten Inhalten».
Die zeitversetzte Nutzung – so die zweite These – macht die Programme der kommerziellen Sender «attraktiver», weil die Werbung überspult werden kann. Die Zahlen von Mediapulse zeigen tatsächlich, dass im Jahr 2017 von der gesamten zeitversetzten Nutzung 53 Prozent auf kommerzielle Sender entfielen; bei der Live-Nutzung waren es 46 Prozent.
Doch: «Kommerzielle Sender, die darauf angewiesen sind, dass die Werbeblöcke zwischen den Programmen ein möglichst grosses Publikum erreichen, können vom Nutzungszuwachs deshalb kaum profitieren», heisst es in der SRF-Studie.
Hinzu kommt, dass die Fiktion ein immer härteres Pflaster wird: Die Privatsender müssten sich mit ihren Spielfilmen und Serien mehr und mehr gegen global ausstrahlende Streaming-Portale behaupten, schreiben die Autoren weiter. Abheben könne man sich noch mit der «Produktion von eigenen, originären Inhalten, was aber mit grossem finanziellem Aufwand verbunden ist».
Falsch ist es laut der dritten These zu glauben, dass das zeitversetzte Fernsehen den Nischensendungen in die Hand spiele. «In der Regel findet keine Ausweitung der zeitversetzten Nutzung auf das Tages- oder Nacht-Programm statt.» Sondern gerade umgekehrt: Wer tagsüber oder nachts fernsieht, greife «(fast) ausschliesslich» auf Hauptabendprogramme zurück.
Der heute geltende Grundsatz, dass Fernsehsender ein 24-Stundenprogramm anbieten müssen, gerät aus Sicht der Autoren ins Wanken: Die Sendezeiten ausserhalb der abendlichen Primetime verlören durch den Aufstieg von Catch-up-TV an Wert.
Und schliesslich – These vier – werden die Zuschauer immer mehr zu ihren eigenen Programmmachern. Wie die TV-Stationen ihre Sendungen gruppieren, wird sekundär. Wichtig ist, dass die gewünschten Inhalten immer verfügbar und rasch auffindbar sind.
Das sind schlechte Nachrichten für die Informations- oder Kultursendungen: Im linearen Fernsehen erreichten sie einen Teil des Publikums, weil sie im Anschluss an beliebte Massensendungen ausgestrahlt wurden. Im zeitversetzten TV komme dieses «Hängenbleiben» fast nur noch vor, wenn eine weitere Folge der gleichen Sendung folgt.
Daher «steht der gebührenfinanzierte öffentliche Rundfunk ganz besonders in der Pflicht, ohne Rücksicht auf mögliche Marktanteilsverluste Inhalte zu produzieren, die im Schweizer TV-Markt mit Werbung nicht finanzierbar wären, und sich zu bemühen, dass diese Inhalte auch zukünftig ihren Weg zu den Zuschauern finden», schliessen die Autoren aus ihren Befunden.
Befragt wurden für die Studie 27 Personen, die häufig zeitversetzt fernsehen. Diese Vorselektion begründen die Autoren damit, dass diese Personen «zur medialen Avantgarde gehören», die uns heute etwas über die TV-Nutzung von morgen verraten könnten.