Rotzfrech, aber kommunikativ ein Coup: Am Dienstag hat Greenpeace das Layout und die Verteilboxen von «20 Minuten» gekapert.
Auch der Klein Report staunte nicht schlecht, als er am Dienstag früh in die «20 Minuten»-Verteilbox griff und ein 16-seitiges Heft voller Klima-Content in Händen hielt. Im «20 Minuten»-Logo prangte ein «22 Oktober» – der Tag der eidgenössischen Wahlen.
Ein dickes Ei: Da hat die Umweltlobby mit dem «20 Minuten»-Verlag eine Ausgabe randfüllend mit eigenem Inhalt lanciert und im gewohnten «Look and Feel» an die Leserschaft der Pendlerzeitung gebracht.
«News», «Schweiz», «Wirtschaft», «People/Lifestyle», «Wissen», «Sport»: alles wie gehabt, schnelle Info, gute Laune, für einmal einfach monothematisch zum Klima. Unter den Beiträgern finden sich Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger, Kolumnistin Michèle Rothen oder «Wolkenbruch»-Autor Thomas Meyer.
Doch es ist alles ganz anders: Greenpeace hat den «20 Minuten»-Klon eigenhändig kreiert und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Dienstagfrüh in die Verteilboxen der Pendlerzeitung in Zürich und Lausanne gefüllt.
Klar, Greenpeace ist nicht berühmt dafür, zuerst um Erlaubnis zu fragen. Die Guerilla-Komponente ist seit Jahren Teil der Kommunikationsstrategie. Man denke nur an die Transparente, die regelmässig an AKW-Kühltürmen flattern, oder an das Greenpeace-Schiff, das sich den Walfischfängern in den Weg stellt.
Und doch hat sich die Umweltorganisation dieses Mal ganz schön was herausgenommen: Mit dem Gebrauch des modifizierten «20 Minuten»-Logos sowie des Designs wurde allem Anschein nach das Marken- und Wettbewerbsrecht verletzt. Ausserdem wurde das Distributionsnetz missbraucht. So zumindest sieht es der Verlag von «20 Minuten».
Der CEO der gekaperten Pendlerzeitung, Bernhard Brechbühl, liess sich in einem «In eigener Sache»-Statement mit den Worten zitieren: «Unsere Leserinnen und Leser wurden mit dieser Aktion mutwillig getäuscht und manipuliert. ‚20 Minuten‘ ist politisch neutral und publizistisch unabhängig». «20 Minuten» gehe nun rechtlich gegen die Täterschaft vor.
«Eine Klage ist noch nicht eingetroffen», sagte Greenpeace-Mediensprecher Daniel Hitzig am Dienstag auf Nachfrage des Klein Reports. «Wir wollen ‚20 Minuten‘ in keiner Weise einen Schaden zufügen.»
Ja, Hitzig versteigt sich sogar zu der Vermutung, dass «20 Minuten» von der Aktion als Marke auch profitieren könne. «Unsere augenzwinkernde Imitation des ‚20 Minuten‘-Layouts ist auch Ausdruck unseres Respekts dafür, wie gut es ‚20 Minuten‘ versteht, die Menschen anzusprechen.»
Dass die «20 Minuten»-Leserinnen und -leser sich nerven könnten, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit nicht ihre gewohnte Lektüre bekommen, räumt Hitzig zwar ein. «Uns geht es um eine Güterabwägung. Die Probleme, die mit der Klimakatastrophe auf uns zukommen, sind immens. Wir wollen, wie gesagt, niemandem schaden, sondern wir wollen dem Klima helfen mit gut aufbereiteten faktenbasierten Geschichten.»
Gerne hätte der Klein Report erfahren, wie die Direktbetroffenen über die Sache denken. Doch leider hat «20 Minuten» die Kommentarfunktion unter dem Beitrag «in eigener Sache» nicht freigeschaltet.
Gedruckt hat Greenpeace von der Fake-Zeitung nach eigenen Angaben 420’000 Stück, auf Deutsch und Französisch. Finanziert wurde das durch «ein seit Ende Juni laufendes Crowddonating».
Und die in die «20 Minuten»-Boxen verteilen Expemplaren – der Verlag spricht von 30’000 Stück – ist davon nur ein kleiner Teil.
Der Grossteil der Auflage sei von der Schweizerischen Post direkt an Schweizer Haushalte geschickt worden, so Daniel Hitzig weiter. «Wir wollen namentlich jene erreichen, die das Klima zwar ein Thema finden, die aber in der Regel nicht wählen gehen.»
Mithilfe von Daten des Bundesamts für Statistik seien daher Gemeinden identifiziert worden, in denen Klima- und Umweltvorlagen zwar eine hohe Zustimmung haben, die jedoch im langjährigen Mittel eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung aufweisen.
Greenpeace gehe es darum, dass die Zeitung gelesen und darüber diskutiert werde.
Da fragt sich der Klein Report, ob die inhaltliche Debatte unter den Teppich fällt, wenn die Form der Darreichung die ganze Aufmerksamkeit aufsaugt. Und bei manchen für Ärger sorgt.
Immerhin gibt es keinen Verkehrsstau.
PS: Gedruckt wurde der «20 Minuten»-Klon durch CH Media Print.