Die Berner Kantonsregierung ist vom Parlament beauftragt worden, die Berichterstattung von den Tamedia-Zeitungen «Der Bund» und «Berner Zeitung» zu prüfen.
Der am Donnerstag veröffentlichte Bericht sorgt für Zündstoff in der Medienbranche. Der Klein Report sprach mit Ursina Wey, Leiterin der Geschäftsstelle Bern des Schweizer Presserats, über das ungewöhnliche Vorgehen der politischen Behörden und die Rolle des Presserats.
Im Fokus der Debatte steht ein Bericht vom 12. Juni 2021, worin es um eine polizeiliche Personenkontrolle bei der Berner Heiliggeistkirche ging. Angeblich hat ein Polizist starke körperliche Gewalt gegen einen Marokkaner ausgeübt.
Wie beurteilt der Presserat das Vorgehen des Berner Parlaments, die Regierung mit einer medialen Abklärung zu betrauen?
Ursina Wey: «Wir haben es hier mit einem höchst unüblichen Vorgehen zu tun. Die Verfassung schützt die Medienfreiheit. Mediale Inhalte können von Gerichten oder dem Presserat überprüft werden. Es ist nicht Aufgabe der Politik, deren Aufgaben zu übernehmen.»
Der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller hat das ungewöhnliche Vorgehen damit begründet, dass es sich um einen ungewöhnlichen Fall handle. «Wenn ein Fall so krass ist, dass ein Mitarbeiter vorverurteilt und in die Nähe eines Kapitalverbrechens, eines schweren Gewaltverbrechens, gerückt wird, dann ist es das Interesse der Regierung, diesen Mitarbeiter zu schützen», sagte Philippe Müller gegenüber den Medien. Was halten Sie von dieser Begründung?
Wey: «Arbeitgeber tragen gegenüber ihren Angestellten eine Fürsorgepflicht. Diese haben die Vorgesetzten wahrzunehmen. Es ist höchst aussergewöhnlich und irritierend, wenn die Politik diese Aufgabe übernimmt. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Presserats, dieses Vorgehen zu bewerten.»
Sind Ihnen ähnliche Fälle bekannt?
Ursina Wey: «Nein.»
Dass die Berner Regierung keine Beschwerde beim Presserat eingereicht hat, begründete Philippe Müller mit dem laufenden Gerichtsverfahren. Wie steht der Presserat zu dieser Situation? Wie ist die Praxis des Presserats diesbezüglich und was ist die generelle Position?
Wey: «Die eingeleiteten Strafverfahren richten sich gegen die beiden involvierten Polizisten, nicht gegen den Inhalt des Medienberichts. Insofern wäre einer Beurteilung des kritisierten Artikels durch den Presserat nichts im Weg gestanden. Grundsätzlich tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn bereits ein Gericht mit dem gleichen Sachverhalt befasst ist. Wenn es sich bei den aufgeworfenen Fragen jedoch um grundlegende medienethische Fragen handelt, kann der Presserat dennoch auf eine Beschwerde eintreten.»
Sicherheitsdirektor Philippe Müller begründete das Nichteinreichen einer Beschwerde damit, dass die Regierung keine Hoffnung gehabt habe, dass die betreffenden Medien inhaltlich darauf eingehen würden. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Ursina Wey: «Es ist gängige Praxis von Tamedia, im Rahmen von Presseratsbeschwerden Stellung zu den sie betreffenden Beschwerden zu nehmen. Die Aussage ist deshalb nicht nachvollziehbar.»
Die Motion «Machtmissbrauch durch Medien-Konzern: Kantonsangestellte schützen», die im Oktober 2023 von Katharina Baumann (EDU), Andrea Gschwend-Pieren (SVP), Andreas Hegg (FDP) und André Roggli (Die Mitte) eingereicht wurde, spricht von einer «beispiellosen Medienkampagne». Der Polizist sei «zum Mörder abgestempelt» worden. Der Regierungsrat müsse die Integrität der Kantonsangestellten «schützen». Wie beurteilen Sie diese Motion?
Wey: «Der Presserat äussert sich nicht zum Inhalt der Motion, die Motionäre und Motionärinnen haben von ihrem politischen Recht Gebrauch gemacht.»
Wie hätte aus Ihrer Sicht der Berner Regierungsrat auf den Auftrag des Parlaments sonst noch reagieren können?
Ursina Wey: «Es ist immer sinnvoll, in einem ersten Schritt das Gespräch mit der betroffenen Redaktion zu suchen. Wenn keine Einigung erzielt wird, kann in einem zweiten Schritt der Presserat als zuständiges Organ für medienethische Fragen angerufen werden.»