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Mittwoch
05.07.2023

TV / Radio

Mascha Santschi spricht Klartext: «Zu rasche Einschränkung von Grundrechten erachte ich als sehr gefährlich für eine Demokratie.» (Bild zVg)

Mascha Santschi spricht Klartext: «Zu rasche Einschränkung von Grundrechten erachte ich als sehr gefährlich für eine Demokratie.» (Bild zVg)

Per Bundesgerichtsentscheid hat sich der Aufgabenbereich der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) um eine heikle journalistische Rubrik erweitert: die Online-Kommentare von Usern und den Umgang, den die Redaktionen der SRG-Sender damit pflegen.

Nachdem die UBI letzte Woche befunden hat, dass SRF die Nichtaufschaltung von 7 Kommentaren eines regelmässigen Users rückgängig machen muss, sprach der Klein Report mit UBI-Präsidentin Mascha Santschi über die äusserst umstrittene Debatte in dem Aufsichtsgremium und den Stellenwert von Online-Kommentaren in einer Mediendemokratie.

Weshalb ist die UBI nur knapp (mit 5 zu 4 Stimmen) auf die Beschwerden zu den Kommentarlöschungen eingetreten, obwohl selbst das Bundesgericht die UBI für zuständig erklärt hat?
Mascha Santschi
: «Die Beschwerden werden nach deren Eingang jeweils einem Referenten oder einer Referentin zugeteilt. Die Referentin dieses Falls stellte einen Antrag auf Nichteintreten mangels Zuständigkeit und begründete ihre Position. Ein anderes UBI-Mitglied stellte daraufhin einen Gegenantrag auf Eintreten und begründete wiederum seine Position. Es folgte eine über einstündige intensive Diskussion. Anlässlich der offenen Abstimmung wurde mit 5 zu 4 Stimmen beschlossen, auf die Beschwerde einzutreten. Danach erst konnten wir uns mit dem eigentlichen Thema befassen, der materiellen Beurteilung respektive den 8 nicht aufgeschalteten Kommentaren und der sechsmonatigen Kontosperre.»

Von aussen entsteht der Eindruck, die UBI habe sich wegducken wollen. Was sagen Sie dazu?
Santschi: «Die Gründe für ein Nichteintreten hatten nichts mit einem ‚Wegducken‘ zu tun, sondern mit einer unterschiedlichen juristischen Auffassung und Überzeugung. Als Präsidentin bin ich dennoch froh, dass wir letztlich auf die Beschwerde eingetreten sind, denn dieses missverständliche Signal gegenüber dem Publikum war in der Tat zu befürchten.»

Die UBI prüfte in mehreren Fällen eines regelmässigen Schreibers, ob die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit im Einzelnen gegeben waren. In sieben Fällen kam sie zum Schluss, dass die Meinungsäusserungsfreiheit verletzt worden ist. Um welche Fälle handelte es sich konkret?
Mascha Santschi: «Unsere Beratungen sind öffentlich, werden rechtzeitig angekündigt und jede interessierte Person ist aufgefordert, daran teilzunehmen. Ich werde deshalb nicht die ganzen Diskussionen wiedergeben können. Zusammengefasst: Es betraf zumeist längere, kritische und nicht dem gängigen Narrativ entsprechende Kommentare zu beispielsweise Unisex-Toiletten, Covid-19, Israel-Wahlen, Medien-Gebührenmodell, Twitter/Musk und MeToo. Der Entscheid wird in einigen Wochen schriftlich vorliegen.»

Knapp (mit 5:4 Stimmen) abgewiesen hat die UBI die Beschwerde des gleichen Users gegen die sechsmonatige Sperre seines Kommentarkontos. Diese hatte die Redaktion nach einer Verwarnung wegen wiederholten verbalen Angriffen gegen SRF-Mitarbeitende verhängt. Was war das Pro und Contra in der UBI-Diskussion und was gab schliesslich den Ausschlag, dass die User-Beschwerde abgewiesen wurde?
Santschi: «Die unterliegenden Mitglieder vertraten die Auffassung, es fehle an einer genügenden rechtlichen Grundlage für eine Sperre in dieser konkreten Situation und bemängelten überdies die Dauer der Sperre von sechs Monaten als unverhältnismässig lange.»

Wie ordnen Sie als UBI-Präsidentin den Entscheid zu den User-Kommentaren in die bisherige Praxis Ihres Gremiums ein? Wie wegweisend ist dieser Entscheid?
Mascha Santschi: «Die Nichtaufschaltung von Leserkommentaren zu beurteilen, ist für die UBI Neuland. Diese Kompetenzerweiterung via Bundesgericht ist aber auch spannend, denn wir haben nun die Möglichkeit, verbindliche Leitplanken für den Umgang mit Kommentaren herauszuarbeiten. Diese erste Beschwerde enthielt acht unterschiedliche Kommentare und entsprechend differenziert waren auch die Überlegungen der Mitglieder. Bei einigen Kommentaren waren wir einstimmig gleicher Meinung, bei anderen hingegen betrug das Stimmenverhältnis 8:1, 7:2 oder 5:4. Erste Pflöcke sind nun eingeschlagen, aber unser Fazit ist noch nicht rechtskräftig. Den ausformulierten Entscheid können dann beide Seiten – im Umfang ihres Unterliegens – an das Bundesgericht weiterziehen. 

Und die gleiche Frage für die Mediendemokratie ganz generell: Wie soll aus Ihrer Sicht mit Kommentaren in Medien umgegangen werden?
Santschi: «Aus meiner Sicht ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit hochzuhalten. Pro-Forma-Grundrechte oder die zu rasche Einschränkung von Grundrechten, auch in vorauseilendem Gehorsam durch Selbstzensur, erachte ich als sehr gefährlich für eine Demokratie. Man muss in einer fortschrittlichen und aufgeklärten Gesellschaft eine Auseinandersetzung mit möglichst allen Meinungen zulassen und aushalten können, auch wenn diese Ansichten nicht dem gängigen Narrativ folgen, einem unangenehm sind oder einen stören. Ich begrüsse es daher, dass zumindest das kommentierende Publikum der SRG nicht mehr die Faust im Sack machen oder sich aus Frust ganz abwenden muss, sondern neu den Rechtsweg via Ombudsstelle an die UBI beschreiten kann.»