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Sonntag
15.09.2024

Medien / Publizistik

Die Gewerkschafterin kritisiert die Tamedia-Spitze: «Die Leute sind entnervt über den Mangel an überzeugender publizistischer Strategie»... (Bild zVg / © Fotografie Stampfli)

Die Gewerkschafterin kritisiert die Tamedia-Spitze: «Die Leute sind entnervt über den Mangel an überzeugender publizistischer Strategie»... (Bild zVg / © Fotografie Stampfli)

Tamedia hat vor Kurzem die Streichung von 290 Vollzeitstellen und die Schliessung der Tamedia-Druckereien in der Waadt und in Zürich angekündigt.

Der Klein Report sprach mit Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin und Leiterin Sektor Medien der Gewerkschaft Syndicom, über die Stimmung in den betroffenen Teams, den Stand der Konsultationsverhandlungen und die publizistische Strategie der Tamedia-Spitze.

Was, glauben Sie, können die Personalkommissionen und die Gewerkschaft Syndicom im Konsultationsverfahren konkret herausholen?
Stephanie Vonarburg
: «Wird das Verfahren vom Unternehmen ernsthaft und rechtmässig gestaltet, haben wir zusammen immer wieder Stellen retten können. Dieses Jahr bei Ringier und CH Media gesamthaft 30 Stellen. Leider versucht Tamedia diese Verfahren als lästige Alibiübung schnell durchzuboxen und alle ihre Pläne als ‚alternativlos‘ hinzustellen. Die Konsultationsfrist ist viel zu kurz. Es braucht nämlich Zeit für die Informationsbeschaffung und die Abklärungen, damit die Alternativen und Forderungen erstellt werden können, um Entlassungen zu vermindern.»

Was wäre für Syndicom das beste Ergebnis? 
Vonarburg: «Im besten Falle sieht die Konzernleitung ein, dass die Strategie verfehlt ist, und verzichtet auf alle Entlassungen.»

Was für Pfeile hat Syndicom noch im Köcher? Was ist die Planung zurzeit, falls die Verhandlungen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen?
Stephanie Vonarburg: «Derzeit beraten wir die möglichen Schritte mit dem Personal. Als erste Massnahme gab es am Donnerstag in der Romandie verlängerte und lautstarke Protestpausen vor den Redaktionssitzen. Die weiteren Massnahmen hängen davon ab, ob und wie Tamedia auf die Anliegen und Forderungen eingeht.»

Gemäss Tamedia sollen 90 Vollzeitstellen in den Redaktionen eingespart werden. Wie ist hier Stand und Gang der Konsultation? Was sind Ihre Forderungen?
Vonarburg: «Tamedia wird nächste Woche das Redaktionspersonal in der Deutschschweiz und in der Romandie über den geplanten Abbau informieren. Das heisst, das Konsultationsverfahren hat dort noch nicht begonnen. Wir sind mit dem Personal in Kontakt, beraten und helfen ihm, sich zu organisieren.»

Gibt es in den betroffenen Redaktionen Widerstand? Wie ist die Stimmung bei den betroffenen Redaktionen?
Stephanie Vonarburg: «Es herrscht eine grosse Unruhe, und die Leute sind sehr besorgt über ihre berufliche Zukunft, hinterfragen jetzt schon den Sinn der in Aussicht gestellten neuen Arbeitsprozesse und sie sind entnervt über den Mangel an überzeugender publizistischer Strategie. Das verursacht grosse Unzufriedenheit, die sich ausbreitet. Daraus hat sich in verschiedenen Bereichen bereits ein Widerstand formiert. Das dürfte sich ausbreiten.»

Wie viele Stellen sind aus Ihrer Sicht in welchen Bereichen betroffen?
Vonarburg: «Das können wir zum aktuellen Zeitpunkt auch noch nicht sagen. Wir gehen davon aus, dass nächste Woche massive Entlassungen beim technischen Personal und in den Redaktionen angekündigt werden.»

Tamedia hat ursprünglich eine 13-tägige Konsultationsfrist vorgeschlagen. Die Belegschaft der Tamedia-Druckerei in Bussigny forderte eine Verlängerung der Frist, die Tamedia-Spitze gewährte letzte Woche eine zusätzliche Woche, also insgesamt drei Wochen. Was halten Sie von dem straffen Zeitplan?
Stephanie Vonarburg: «Die von Tamedia ursprünglich vorgeschlagene 13-tägige Frist ist angesichts der Folgen dieser Schliessung für die Beschäftigten, den Kanton und die Schweizer Presse inakzeptabel und zu kurz.» 

Syndicom hat beim Waadtländer Staatsrat angeklopft. Wie ist da der Stand der Dinge?
Vonarburg: «Der Waadtländer Staatsrat hat die Tamedia-Verantwortlichen getroffen und ihnen offensichtlich ins Gewissen geredet. Auch die Personalvertretung mit Syndicom wurde angehört, wir haben den Eindruck, dass das Verständnis für die Anliegen da ist.»

Was möchte Syndicom damit maximal erreichen?
Stephanie Vonarburg: «Der Waadtländer Staatsrat sowie Syndicom möchten, dass Tamedia ihre gesetzlichen Pflichten einhält. Das heisst, die Konsultations- und Informationspflicht. Zudem befürchtet der Staatsrat zu Recht, dass die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse in der Romandie abnehmen wird. Zudem machen die zahlreichen Arbeitslosen, die bei den Tamedia-Plänen auf der Strasse stehen, auch aus öffentlicher Perspektive Sorgen.»

Sind weitere Interventionen auf politischer Ebene geplant?
Vonarburg: «Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir öffentlich noch nicht mehr sagen können.»

Seit Jahren werden Druckereien geschlossen oder zusammengelegt. Was sagen Sie zu der Kritik, dass Syndicom die Augen vor der Realität verschliesse – Stichwort Überkapazitäten –, wenn Sie fordern, dass die Tamedia-Druckereien nicht geschlossen werden sollen?
Stephanie Vonarburg: «Tamedias Argumentation ist nicht stichhaltig. Damit die Zeitung am Morgen druckfrisch im Briefkasten liegt, muss sie möglichst spät in der Nacht gedruckt werden. Diese Druckslots sind demnach begrenzt. Wenn Tamedia hier argumentiert, dass ihre Druckzentren nicht zu 100 Prozent ausgelastet seien, ist das etwa vergleichbar mit dem Energiebetreiber, der seine Solaranlage schliessen will, weil in der Nacht die Sonne nicht scheint.»

Was wären aus Ihrer Sicht die Folgen, wenn Tamedia ihre Druckereien in Zürich und der Romandie schliesst?
Vonarburg: «Wenn Tamedia die beiden Druckereien schliesst, dann kann auch in der einzigen verbleibenden Druckerei in Bern jede Maschine in der Nacht nur wenige Aufträge zeitgerecht drucken. In der Folge wird der Redaktionsschluss für viele Zeitungen unweigerlich nach vorne verschoben. Das wird dazu führen, dass die gedruckte Version der Zeitung noch weniger aktuelle Hintergründe enthält, dementsprechend die Nachfrage danach sowie die Auflage sinkt. Es ist wie eine selbsterfüllende Prophezeihung, die den nackten Zahlen von Tamedia Recht geben würde: Sie machen den Print dadurch selbst überflüssig. Tamedia drängt somit willentlich die gedruckten Zeitungen einen Schritt weiter an den Abgrund. Zudem dürfte es in der Schweiz bald mal eine Unterkapazität an Druckmöglichkeiten geben und Magazine sowie andere Druckaufträge würden ins Ausland verlagert.»

Syndicom engagiert sich sehr zum Erhalt der Tamedia-Druckerei in der Romandie. Was wäre denn die Idee von Syndicom, wie man die Druckerei unternehmerisch weiterbetreiben könnte?
Stephanie Vonarburg: «Diese Antworten sind in der Konsultation in Bearbeitung.»