1970 entführten Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) einen Swissair-Flug in die jordanische Wüste.
Die beiden Filmemacher Adrian Winkler und Laurin Merz haben für das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) die Geschehnisse rund um die Entführung in eine berührende Doku umgesetzt, die am 22. Februar auf SRF 1 ausgestrahlt wird.
Zeitzeugen kommen ebenso zu Wort wie Experten. Zu ihnen gehört Marcel Gyr, Autor des Sachbuchs «Schweizer Terrorjahre – Das geheime Abkommen mit der PLO.»
Der Klein Report hat sich den Film mit dem NZZ-Journalisten angeschaut. Dieser nimmt auch Stellung zu seiner umstrittenen These eines Stillhalteabkommens zwischen der Schweiz und den Palästinensern, das im Anschluss an die Geiselaffäre geschlossen worden sein soll.
Der 6. September 1970 ging als «Skyjack Sunday» in die Geschichte der Luftfahrt ein. An diesem Sonntag entführten Mitglieder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) gleich mehrere Flugzeuge, darunter auch eines der Swissair, das auf dem Weg von Zürich nach New York war.
Die Insassinnen und Insassen strandeten nach einem Irrflug durch Europa und den Nahen Osten schliesslich in Zerqa, einem ehemaligen Militärflugplatz in der jordanischen Wüste. Dort wurden sie in Geiselhaft genommen, zusammen mit den Passagieren und Crew-Mitgliedern von zwei anderen, ebenfalls entführten Maschinen. Es folgte ein wochenlanges, nervenaufreibendes Martyrium, bis schliesslich die Armee von König Hussein von Jordanien die Geiseln befreite.
Es ist Ironie des Schicksals, dass der Konflikt zwischen der Hamas und Israel gerade jetzt wieder brutal aufgeflammt ist. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung des Dokumentarfilms «Swissair Flug 100 – Geiseldrama in der Wüste» auf SRF werden im Gazastreifen noch immer mehr als hundert israelische Geiseln festgehalten.
Die Macher des Films, Adrian Winkler und Laurin Merz, lieferten nach Recherchen des Klein Reports ihren vermeintlich fertigen Film ausgerechnet am 6. Oktober 2023 ab, einen Tag vor dem brutalen Übergriff der Hamas auf Israel. Natürlich gingen die Filmemacher danach nochmals in den Schneideraum und passten ihren Film der brutalen Aktualität an. Neben der Ausstrahlung am 22. Februar auf SRF 1 ist die Doku bis auf Weiteres auch auf der Plattform «Play SRF» abrufbar.
Timing ist auch im Film alles. Gerade weil der Konflikt zwischen der Hamas und Israel die News in aller Welt prägen, hat der Film eine traurige Aktualität. Nicht vergessen werden darf, dass der Krieg zwischen der Hamas und Israel auf beiden Seiten vor allem viele zivile Opfer fordert – das ist das Schreckliche an jedem Krieg. Egal, wo oder wann er stattfindet. Egal, worum es letztlich geht.
Zurück zum Film: Den beiden Machern, Adrian Winkler und Laurin Merz, ist ein spannendes Stück zur Verarbeitung Schweizer Geschichte gelungen.
Dieser Meinung ist auch Marcel Gyr. «Die Stärke des Films liegt neben der gelungenen Aufbereitung der historischen Originalaufnahmen sicher darin, zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen», so der NZZ-Journalist gegenüber dem Klein Report. «Dem damaligen Maître de Cabine, Ernst Renggli, treibt es selbst nach über 50 Jahren noch immer Tränen in die Augen, wenn er über das Geschehen in der jordanischen Wüste spricht.» Das habe ihn sehr berührt, sagt Gyr.
Wie die anderen Geiseln ging auch Ernst Renggli zeitweise durch die Hölle. Und doch sagt er rückblickend: «Bis zu dieser Entführung 1970 war ich immer auf der Seite von Israel. Doch das Erlebnis hat mich und meine Einstellung verändert. Ich habe Verständnis für die Palästinenser. Natürlich unterstütze ich die neuerlichen Terroranschläge der Hamas nicht. Sie sind aber eine logische Konsequenz jahrelanger Verletzungen», so der Aargauer anlässlich der Filmpremiere kürzlich bei den Solothurner Filmtagen gegenüber kath.ch.
Die Stärke des Films liegt auch darin, dass neben der Besatzung mehrere damalige Passagiere zu Wort kommen. Zudem ordnen ein Historiker und eine Historikerin den Konflikt im Nahen Osten ein und zeigen auf, wie sich die Schweizer Politik in diesem Dilemma verhielt: Die Geiselnehmer setzten ein Ultimatum, mit dem sie die Freilassung von drei Palästinensern verlangten, die damals in der Schweiz in Haft waren.
Der Film zeige auf, in welch prekärer Lage sich die Schweiz im Herbst 1970 befunden habe, kommentiert der Buchautor Marcel Gyr. «Innerhalb von nur anderthalb Jahren war es bereits der dritte Terroranschlag, der sich gegen ein Schweizer Ziel richtete», fährt er fort. «Alleine der Bombenanschlag auf einen Swissair-Flug im Februar 1970 hatte 47 Menschenleben gekostet.» Dass sich die Landesregierung in dieser bedrohlichen Lage zum Handeln genötigt sah, erachtet Gyr als plausibel.
Vor ein paar Jahren sorgte der NZZ-Reporter für Furore, als er in seinem Buch «Schweizer Terrorjahre» ein geheimes Abkommen mit der PLO geltend machte. Dieses soll unter der Ägide von Bundesrat Pierre Graber im Anschluss an die Geisel-Affäre von Zerqa abgeschlossen worden sein.
Marcel Gyr stützt sich nach eigenen Angaben auf Informationen aus Geheimdienstkreisen. Gegen aussen tritt Jean Ziegler als Kronzeuge auf. In der SRF-Doku stützt der langjährige SP-Nationalrat aus Genf, der im April 90 Jahre alt wird, die These. «Natürlich gab es dieses Stillhalteabkommen. Bundesrat Pierre Graber, ein Parteikollege, hat mich persönlich darum gebeten, den Kontakt zur PLO herzustellen. Er wollte damit unbedingt verhindern, dass sich Ereignisse wie Zerqa wiederholen», so der Genfer Sozialist weiter.
«Es freut mich natürlich, dass Jean Ziegler meine These des Stillhalteabkommens im Film ein weiteres Mal bestätigt», so Gyr. «Ziegler war im internationalen Genf schon damals sehr gut vernetzt, keiner hatte zur PLO einen derart guten Draht wie er.»
«Und wenn man die Filmaufnahmen von Bundesrat Graber sieht», fährt Gyr fort, «traut man dem selbstbewussten Magistraten durchaus zu, das Zepter in die Hand genommen zu haben, in der Absicht, weiteren Schaden von der Schweiz fernzuhalten.»
«Flug 100 – Geiseldrama in der Wüste» überzeugt. Adrian Winkler und Laurin Merz ist es gelungen, den Zuschauerinnen und Zuschauern den Nahostkonflikt in spannender und packender Art und Weise näher zu bringen – ohne sich in strittigen oder einseitigen Aussagen zu verheddern.