Nach monatelangen kreuzzähen Verhandlungen liegt bei «Bund» und «Berner Zeitung» (BZ) noch immer kein Sozialplan auf dem Tisch. Obwohl die Kündigungen nun anlaufen.
Der Klein Report sprach mit Mediengewerkschaftlerin Stephanie Vonarburg über eine Sozialpartnerschaft, die diesen Namen nur schwerlich verdient.
Was waren die Sparvorschläge, mit denen die Personalvertretungen von ‚Bund‘ und BZ Entlassungen vermeiden wollten, mit denen sie aber bei der Tamedia-Spitze abgeblitzt sind?
Stephanie Vonarburg: «Bei BZ und ‚Bund‘ war einer von rund zehn Vorschlägen, dass auch die Chefredaktion reduziert werden soll, im Sinne der Opfersymmetrie. Da sind im Moment vier Personen mit hohen Pensen vorgesehen. Ein zweiter Vorschlag in Bern war eine Lohndeckelung. Für die höchsten Löhne wurde maximal 9000 Franken brutto pro Vollzeitstelle verlangt. Ein dritter Vorschlag war, dass die Mietkosten für die Büros am Dammweg reduziert werden, allenfalls durch einen Umzug in eine günstigere Liegenschaft.»
Warum heisst die erzielte Einigung «Rahmensozialplan» und nicht schlicht «Sozialplan»?
Vonarburg: «Der Rahmensozialplan ist ausschliesslich für Westschweizer Redaktionen und das dortige technische Redaktionspersonal verhandelt worden. Er gilt für die allfälligen Abbaumassnahmen in den nächsten drei Jahren, daher der Begriff ‚Rahmen‘.»
Inwiefern sind Sie zufrieden, inwiefern unzufrieden mit der erzielten Einigung?
Vonarburg: «Nicht zufrieden sind wir, dass wir als Syndicom nicht am Verhandlungstisch akzeptiert worden sind. Letztlich ist aber massgeblich, dass die Betroffenen und Syndicom-Mitglieder in der Verhandlungsdelegation dabei waren. Wir unterstützten sie mit unserem Know-how.»
Und wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis der Einigung?
Vonarburg: «Wir mussten Abstriche machen, zum Beispiel beim Umfang der Abgangsentschädigungen. Grundsätzlich ist das Resultat aber ansprechend, es ist insgesamt orientiert am Sozialplan, der bei ‚Le Matin‘ vom Schiedsgericht vor zwei Jahren entschieden wurde. Darin waren Abgangsentschädigungen von 3 bis 12 Monatslöhnen vorgesehen, je nach Dienstalter der Betroffenen. Anders als bei ‚Le Matin‘ damals sind die Abgangsentschädigungen jetzt im Einzelnen etwas kleiner, aber es gibt nun Massnahmen für vorzeitige Pensionierungen, eine Verbesserung, die auch vom Personal akzeptiert wurde.»
Wie viele Entlassungen wird es nach derzeitigem Stand bei «Bund» und BZ geben?
Vonarburg: «Die vorgesehenen Kündigungen konnten bei der kleineren ‚Bund‘-Redaktion zum Teil mit Pensenreduktionen aufgefangen werden. Wobei manche freiwillig, andere aber unfreiwillig sind. Uns zugetragen wurden des Weiteren eine Entlassung und eine Frühpensionierung. Bei der BZ hat Tamedia ursprünglich geplant, neun Personen zu entlassen. Aktuell sind es wegen eines freiwilligen Abgangs acht Kündigungen (davon zwei unfreiwillige Frühpensionierungen), dazu kommen etliche freiwillige und unfreiwillige Pensenreduktionen (Änderungskündigungen). Nicht zu vergessen sind mehrere Personen mit befristeten Verträgen, die Ende Jahr auslaufen und nicht verlängert werden. Tamedia kommuniziert bisher die genauen Zahlen aber nicht einmal gegenüber den Angestellten intern.»
Das Ende des Berner Modells schlug weit übers Bernbiet Wellen. Selbst Bundesparlamentarier zeigten sich gegenüber dem Klein Report besorgt und zeigten Kante gegenüber Tamedia. Wie liefen die Sozialplanverhandlungen hinter den Kulissen?
Vonarburg: «Im September hatten die Verhandlungen für die Deutschschweizer Redaktionen und das technische Redaktionspersonal begonnen. Insgesamt gab es zwanzig Runden. Syndicom war, anders als in der Westschweiz, am Verhandlungstisch akzeptiert. Im März gab es einen Zwischenstopp. Den Redaktionen wurde der Stand der Verhandlungen präsentiert. Sie waren nicht zufrieden mit den vorgesehenen Abgangsentschädigungen und den Massnahmen bei vorzeitigen Pensionierungen. Mitte April entschied die Dach-Personalkommission mit den Gewerkschaften, die Eidgenössische Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten anzurufen. Die Einigungsstelle ist in diesem Fall kein Schiedsgericht, das entscheidet, sondern sie vermittelt. Sie macht einen Vorschlag, was sie für gerechtfertigt hält. Dieses Verfahren ist noch hängig.»
Wann erwarten Sie ein Ergebnis?
Stephanie Vonarburg: «Wir hofften eigentlich, dass vor dem Sommer ein Ergebnis auf dem Tisch liegt. Unser Ziel ist nun spätestens September. Das ist ungünstig, weil Tamedia mit den Kündigungen bei ‚Bund‘ und BZ schon angefangen hat.»
Syndicom kritisierte das Verhalten der Tamedia-Spitze in den Sozialplanverhandlungen als «unwürdig». Die sich auf Fusionen und Entlassungen abstützende Sparpolitik sei «skandalös». Was wäre aus Ihrer Sicht ein löblicheres Vorgehen angesichts der seit Jahren erodierenden Werbeeinnahmen?
Vonarburg: «Löblich und normal wäre, dass wirklich frühzeitig Personalkommission und Gewerkschaften einbezogen würden. Und dass die Geschäftsleitung andere Lösungen sucht als Stellenreduktion, Fusionen und Abbau von publizistischer Leistung. Löblich wäre weiter, dass die Vorschläge, die das Personal im gesetzlichen Konsultationsverfahren sorgfältig entwickelt hat, nicht einfach weggewischt werden. Es ist schon verrückt: Die Tamedia-Leitung hat innert zweier Tage auf die Vorschläge reagiert: ‚Da sind wir nicht einverstanden, dies ist so nicht vorgesehen, jenes ist nicht möglich.‘ Die Enttäuschung und Entrüstung ist beim Personal sehr gross.»
Was erwarten Sie von der Tamedia-Spitze konkret?
Vonarburg: «Wir erwarten, dass Tamedia als grösster Medienarbeitgeber der Schweiz die Sozialpartnerschaft echt lebt und keine Pro-forma-Verfahren macht. Bei der TX Group ist Geld vorhanden für angemessene Sozialpläne und den Schutz von Arbeitsplätzen, wie es der Grösse und Verantwortung des Unternehmens entsprechen würde. Es kommt dazu, dass Tamedia mit den jahrelangen Aufkäufen und Fusionen der Medienvielfalt in der Schweiz schadet, jüngst bei den Zürcher Regionalzeitungen, dann in der Romandie und jetzt in Bern. Das ist auf eine reine Markt- und Profitlogik ausgerichtet, für Medien aber nicht geeignet, weil Medien keine Handelsware sind.»
Tamedia wird vom Ausbau der staatlichen Medienförderung massiv profitieren. Was heisst das für Sie als Gewerkschaftlerin?
Vonarburg: Mit dem neuen Medienförderpaket, für das wir uns auch eingesetzt haben, bekommt Tamedia mehr staatliche Gelder. Da erwarten wir, dass sich das Unternehmen auch vorbildlicher zeigt im sozialen Dialog. Tamedia-Verleger und VSM-Präsident Pietro Supino macht keinen erkennbaren Schritt in Richtung eines Gesamtarbeitsvertrags (GAV). Wer öffentliche Gelder beansprucht, hat auch eine gewisse Verpflichtung, bei der Absicherung der Arbeitsbedingungen durch einen GAV Hand zu bieten.»