Bevor die öffentlich-rechtlichen Sender Deutschlands im Herbst ihre Reformvorschläge auf den Tisch legen, wagt ProSiebenSat.1 einen medienpolitischen Vorstoss nach eigenem Gusto: Privatsender sollen für Service-public-Leistungen aus dem öffentlichen Gebührentopf schöpfen. Das Schweizer Splitting-Modell könnte Pate stehen.
«Institutionsunabhängige Finanzierung von Public-Service-Inhalten» nennt der Medienkonzern seine Idee - mit dem englischen Terminus, der für schweizerische Augen etwas holprig daherkommt, in der deutschländischen Debatte aber üblich ist.
Im Kern ist das vorgeschlagene Modell einfach: Die Politik definiert den Public-Service-Auftrag und legt diesen im Gesetz fest. In einer Auftragsausschreibung können private Anbieter ihre Projekte vorlegen und sich um eine Konzession bewerben. Eine «staatsfern organisierte unabhängige Kommission» legt den Finanzierungsrahmen fest und verantwortet schliesslich die Auftrags- und Mittelvergabe.
Neu ist die Idee aus eidgenössischer Sicht nicht. Mit dem «Gebühren-Splitting» fliesst ein Teil der Gebührengelder hierzulande zu privaten Lokalsendern, die damit «Service public régionale» produzieren.
Ganz anders jedoch sind die Grössenordnungen: Mit ProSiebenSat.1 Media streckt ein Schwergewicht der nationalen Medienlandschaft Deutschlands die Hand nach öffentlichen Geldern aus. Zur Gruppe, deren Jahresumsatz zweieinhalb Mal grösser als derjenige der SRG ist, gehören unter anderem die Sender ProSieben, Sat.1, Kabel Eins, Sat.1 Gold, ProSieben Maxx, Sixx und Kabel Eins Doku, die zusammen Tag für Tag etwa 44 Millionen Haushalte erreichen.
ProSiebenSat.1 will «gesellschaftspolitisch relevante Inhalte» auch bei den privaten nationalen Medienkonzernen fördern, wie es vom Geschäftssitz Unterföhring bei München am Montag heisst. Im Auge hat das Unternehmen vor allem die «jungen Menschen», die mit «demokratiestiftenden, meinungsbildenden und integrativen Angeboten» erreicht werden sollen.
Die Argumente ähneln denen der Öffentlich-Rechtlichen. Ebenso die Kontexte, auf die sich die Initianten berufen: Im Zuge der Ausbreitung von Digital und Online würden «Global Player» den Zugang zu Inhalten mehr und mehr dominieren. «Dies ist eine gesellschaftlich relevante Herausforderung, da Informationen immer stärker über Algorithmen gefiltert werden und sich vor allem die jüngeren Zielgruppen zunehmend in digitalen Parallelwelten bewegen. Uns jetzt für den Erhalt unserer ausgeprägten Medien- und Meinungsvielfalt zu engagieren, ist für unser Zusammenleben enorm wichtig», heisst es von Seiten des deutschen Privatunternehmens.
Unüberwindbare rechtliche Hürden sehen die Initianten keine. Es gebe «keine Norm des föderalen, nationalen und europäischen Rechts», die dem skizzierten medienpolitischen Modell im Weg stehe, erklärte ProSiebenSat.1 weiter. Zu diesem Schluss gekommen sei ein Rechtsgutachten, das die Sendergruppe bei den Juristen Mark D. Cole von der Uni Luxemburg und Jan Oster von der Uni Leiden in Auftrag gegeben hatte.
Die einschlägigen Urteile des deutschen Bundesverfassungsgerichts «sprechen nicht gegen eine Ausdehnung von Finanzierungslösungen auch auf private Rundfunkanbieter, sondern geben Rahmenbedingungen vor, wie eine solche Lösung unter Beibehaltung der besonderen Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszugestalten wäre», steht in dem über 200-seitigen Rechtsgutachten.
Das Schweizer Gebührensplitting ist für die beiden Juristen gar eine «mögliche Quelle bei der Ausgestaltung» eines ähnlichen Modells für Deutschland. Speziell das Evaluationsprozedere der privaten Service-public-Leistungen durch das Bundesamt für Kommunikation wird in dem Gutachten als mögliches Vorbild erwähnt.
Den Zeitpunkt der medienpolitischen Steilvorlage hat ProSiebenSat.1 klug gewählt. Die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer hatten die Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen vor geraumer Zeit damit beauftragt, Vorschläge zu einer Strukturreform zu erarbeiten. Im September will die ARD ihre Ideen präsentieren. Laut der Chefin Karola Wille ist mit dem «grössten Reformprogramm» in der Geschichte der Sendergruppe zu rechnen.