Er ist das Gesicht der Schweizer Wirtschaft auf SRF. Er gilt als Blue-chip am Leutschenbach. Doch Ende Jahr erreicht er das Pensionsalter.
Im Gespräch mit dem Klein Report erzählt Reto Lipp, wie es mit ihm persönlich weitergeht – und war er von der politischen und wirtschaftlichen Weltlage hält.
Wie nimmt man als Wirtschaftsfachmann die Turbulenzen in der Weltpolitik wahr?
Reto Lipp: «Es sind tatsächlich verrückte Zeiten, die wir erleben. Aber in dem ganzen Tohuwabohu sind stichhaltige Informationen, deren Einbettung und Analysen umso wichtiger. Ich erachte einen verlässlichen Wirtschaftsjournalismus als bedeutender denn je. Die Leute müssen in diesen hektischen Zeiten aus einer zuverlässigen Quelle mit Fakten und Zahlen informiert werden.»
Wie werten Sie die Politik von US-Präsident Donald Trump? Er gilt gemeinhin als grosser Wirtschaftsfreund…
Lipp: «Und genau da liegt ein grosser Irrtum. Donald Trump ist ein Immobilienmanager – und kein klassischer Unternehmer. Im Immobiliengeschäft gibt es immer Schwarz und Weiss, Gewinner oder Verlierer. Einen Kompromiss oder die sprichwörtliche Win-win-Situation dagegen kennt man nicht. Und so agiert Trump. Er versucht zum Gewinner zu werden, indem er die Schwächen seiner Gegner ausnutzt.»
Wo steht in diesem Monopoly die Schweiz?
Lipp: «Zuerst müssen wir von Europa reden. Und hier sind sich die grossen Player uneinig. Und militärisch sind wir in Europa ohnehin nirgendwo – das wird nun immer deutlicher. Die Schweiz setzt auf ihre Rolle als Sonderfall. Aber auch das ist ein grosser Irrtum. Wir sind direkt von der europäischen Wirtschaft abhängig.»
Das heisst, Trumps Zoll-Politik schadet auch uns?
Lipp: «Absolut. In der Schweiz gibt es beispielsweise 32'000 Jobs in Zulieferfirmen für die internationale Automobilindustrie. Wenn Trump die europäischen Autoproduzenten mit 25-Prozent-Zöllen belegt, schadet dies auch uns in der Schweiz massiv. Wenn es den deutschen Autobauern schlecht geht, geht es auch unseren Zulieferfirmen schlecht.»
Sie moderieren seit 2007 verschiedene Wirtschaftssendungen auf SRF. Wie hat sich die Medienkultur seither verändert?
Lipp: «Das Tempo hat extrem zugenommen. Dies steht in direktem Zusammenhang mit den sozialen Medien. 2007 kam Facebook allmählich auf – aber erst langsam. Heute ist die Situation völlig anders. Die Journalisten stehen in Konkurrenz mit Millionen von angeblichen Experten und Wortführern. Mit den sozialen Medien erhält jede und jeder eine Plattform, mit der sie oder er sich an ein grosses Publikum richten kann. Aber genau dies erhöht auch die Wichtigkeit der klassischen Medien.»
Werden Sie eigentlich oft nach Anlagetipps gefragt?
Lipp: «Das kommt häufig vor. Aber als Wirtschaftsjournalist bei der SRG darf man keine konkreten Tipps geben. Wir dürfen aber Anlageexperten interviewen und sie nach ihrer Meinung fragen. Übrigens dürfen wir als Mitarbeitende des SRF-Wirtschaftsressort auch nicht in Einzelaktien investieren.»
Wie bitte?
Lipp: «Damit will man der Gefahr vor Interessenskonflikten vorbeugen. Wir dürfen nur in Fonds investieren – oder wir müssen unsere Anlagengeschäfte an einen Vermögensverwalter abtreten. Für mich war dies anfänglich ein gravierender Einschnitt in mein Persönlichkeitsrecht.»
Das heisst, Sie können den Lesern des Klein Reports keine Ratschläge bezüglich Anlagen und Investments geben?
Reto Lipp: «Ich kann immerhin sagen, was eine Anlageexpertin im ‚Eco‘-Talk vom 24. März gesagt hat: Wer eine gute Strategie verfolgt – korrespondierend mit der eigenen Risikobereitschaft –, sollte momentan am besten nichts machen. Wer in dieser Situation ist, darf sich beruhigt zurücklehnen. Und die gleiche Expertin sagte: ‚Ein bisschen Gold ist immer sinnvoll‘».
Nun werden Sie Ende Jahr pensioniert. Freuen Sie sich auf die ewigen Ferien?
Lipp: «Das ist schwer zu sagen. In dem Job, den wir haben, hört das Interesse mit der Pensionierung nicht auf. Ich werde gleich viele Zeitung lesen und die Informationen mit demselben Interesse aufsaugen – vielleicht noch intensiver. Schliesslich habe ich dann wohl mehr Zeit. Und wie sang doch Udo Jürgens: Mit 66 Jahren fängt das Leben an.»
Welchen Ratschlag geben Sie ihrer Nachfolgerin Eveline Kobler?
Lipp: «Ich freue mich sehr, dass sie den Job erhält. Sie ist eine Topjournalistin. Jahrelange leitete sie das Wirtschaftsressort bei Radio SRF. Und zwischenzeitlich sammelte sie Erfahrungen in der Privatwirtschaft – bei Swiss Life. Sie erinnert mich ein wenig an mich. Sie tritt den Job im selben Alter an wie ich im Jahr 2007.»
Zurück zu Ihnen. Seit 2008 moderieren Sie jedes Jahr das Swiss Economic Forum der NZZ. Wie geht es hier weiter?
Lipp: «Das steht noch nicht fest. Dies war ein Auftrag, den ich im Rahmen meiner SRF-Tätigkeit ausübte. Ich werde ihn sicher 2025 noch wahrnehmen. Was danach geschieht, hängt auch von Eveline Kobler ab.»
Sie sind auch beim Zürcher Presseverein engagiert. Was werden Sie hier in Zukunft machen?
Lipp: «Dort führe ich jeweils durch den Communication-Summit. Das mache ich auch in Zukunft. Und auch den Podcast ‚ComSumCast‘ möchte ich weiterführen. Dies sind für mich auch Instrumente, mit denen ich den jungen Journalistinnen und Journalisten etwas zurückgeben kann. Ich hatte das Privileg, lange in einem sehr guten Job zu arbeiten. Nun ist es an der Zeit, von diesen Erfahrungen etwas den Jungen zurückzugeben.»
Am Fernsehen wird man Sie nicht mehr sehen?
Lipp: «Geplant ist nichts. Ich kann aber nicht ausschliessen, dass ich dereinst in der einen oder anderen Sendung als Talk-Gast auftauche. Und wissen Sie was?»
Nein!
Lipp: «Auch etwas mehr Freizeit würde ich mir gerne gönnen.»