Sperrfristen können ein Segen sein für die Medien. Oder zur Schikane werden. Alles hängt vom Fairplay ab. Der Klein Report hat sich in der Branche umgehört.
«Mittlerweile nutzen viele Unternehmen eine Sperrfrist, wohl um Redaktionen genügend Vorlauf für die Planung und Gewichtung eines Beitrags zu ermöglichen», sagt Ulrich Rotzinger, Leiter Wirtschaft Blick, auf Anfrage.
Dies sei für die Redaktion «durchaus von Vorteil, da wir so nicht von der Mitteilung ‚überrascht‘ werden und die weitere Bearbeitung des Themas im Ressort leichter steuern können.»
Unklar war bisher, was Sperrfristen genau sperren. Wie der Klein Report vor Kurzem berichtete, hat sich die Stadt Luzern gegenüber zentralplus.ch beschwert, dass das Portal trotz Sperrfrist zu dem betreffenden Thema recherchiert habe.
Der Presserat hielt in einer grundsätzlichen Stellungnahme dagegen, dass Sperrfristen kein Rechercheverbot seien. Medienschaffende dürfen vor Ablauf der Sperrfrist also Fachleute und Betroffene zum Inhalt der gesperrten Medienmitteilung befragen und auch sonst zum Thema recherchieren. Alles andere wäre nämlich ein Verstoss gegen die Informationsfreiheit, die die Verfassung zusichert.
Beim «Blick» ist es allerdings auch schon vorgekommen, dass eine Medienmitteilung mit Sperrfristen erfunden wurde, um die Publikation einer Story hinauszuzögern: «Wir recherchierten zu einem Thema, das das Unternehmen uns gegenüber nicht weiter kommentierte. Stattdessen wurde kurze Zeit später eine Medienmitteilung mit Sperrfrist publiziert, die sich inhaltlich mit unseren Recherchen deckte – und augenscheinlich zum Ziel hatte, die Informationen mit einer Sperrfrist künstlich zurückzuhalten», so Ulrich Rotzinger zum Klein Report.
In den Tamedia-Redaktionen an der Zürcher Werdstrasse werde «kaum über Sinn und Unsinn» von Sperrfristen diskutiert, wie Franziska Lurk, Kommunikation Tamedia, zum Klein Report sagt.
«Sperrfristen gehören zum journalistischen Alltag. Ihre Einhaltung gebietet der Journalistenkodex. Sie erlauben es uns, News-Meldungen mit Kontext anzureichern, um unseren Lesenden hoffentlich einen journalistischen Mehrwert bieten zu können.»
In der Theorie können Sperrfristen also zu mehr journalistischer Qualität führen. Damit zählt ausnahmsweise nicht, wer die Story am schnellsten raushaut. Sondern wer sie am besten recherchiert und am spannendsten erzählt.
Es ist also kein Wunder, dass der Schweizer Journalistenkodex die Sperrfristen explizit stützt. Gemäss Richtlinie 4.4 sollen Medien eine «gerechtfertigte Sperrfrist» respektieren. Nur wenn ein «überwiegendes Interesse» an einer früheren Veröffentlichung besteht, dürfen laut Berufsethos Sperrfristen ausnahmsweise gebrochen werden.
Die Sperrfristen kommen dem Journalismus also eigentlich zugute. Doch es gibt ein Aber: Alle Beteiligten müssen fair mitspielen. Die Medienmitteilungen müssen also an alle Medien gleichzeitig verschickt werden und für alle Medien muss auch die gleiche Sperrfrist gelten. Und schliesslich müssen sich auch alle Medien daran halten und der Versuchung widerstehen, als Erstes zu trumpfen.
Wie steht es also ums Fairplay in der Deutschschweizer Medienlandschaft?
«Ärgerlich ist, wenn die Sperrfristen nicht für alle gleichermassen gelten. Dann ist es keine Sperrfrist, sondern eine Schikane», sagt Patrik Müller, Chefredaktor von CH Media.
In «95 Prozent der Fälle» werden die Redaktionen aus seiner Sicht aber gleich behandelt.
Zu «Deals ohne Transparenz» käme es zum Beispiel gelegentlich bei Musiklabels oder Buchverlagen. Keystone-SDA werde «höchstens in Einzelfällen» von den Absendern von Medienmitteilungen bevorzugt, so Müller weiter gegenüber dem Klein Report.