Der Zürcher Rechtsanwalt Emrah Erken hat vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) in grossen Teilen recht bekommen: Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat mit seiner Berichterstattung über die Studentenproteste zum Gaza-Konflikt das Vielfaltsgebot verletzt.
Der Klein Report sprach mit Emrah Erken über die Inhalte seiner ausführlichen Beschwerde und seine persönliche Motivation.
Ihre Popularbeschwerde gegen die Nahostberichterstattung von SRF war über 100 Seiten stark. Was motiviert Sie zu diesem Engagement?
Emrah Erken: «Zunächst einmal und vor allen Dingen: ‚Nie wieder ist jetzt!‘. Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit dem Thema Antisemitismus. Ich weiss, dass jüdische Menschen während des Holocausts – Kinder, Frauen, Alte und Familien – unter den Augen von mutlosen und gleichgültigen Nichtjuden verhaftet, abgeführt und ermordet wurden. So etwas würde ich niemals zulassen und gehe dabei auch jedes Risiko ein. Ich nehme in Kauf, dass andere mich deswegen als Feind ansehen und mir Schlechtes antun, ja sogar umbringen. Es heisst ja ‚Nur über meine Leiche‘ oder ‚Bis hierher und nicht weiter‘ (Hiob 38,11). Ich werde immer meine schützende Hand über die Juden halten, koste, was es wolle.»
Was hat Sie sonst noch zu der ausführlichen Beschwerde motiviert?
Erken: «Das Ganze hat sehr wesentlich mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich gefalle mir in der Rolle des kleinen David gegen den grossen, übermächtigen Goliath. Ich lege mich gerne mit den Mächtigen an und habe keine Angst vor ihnen. Ich reagiere äusserst allergisch auf Übermacht und Machtmissbrauch. Ich verkrieche mich nicht davor. Vielmehr halte ich meine Brust entgegen.»
Welche Ziele verfolgten Sie mit der Beschwerde?
Emrah Erken: «Ausserdem wollte ich das Verfahren vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz dazu nutzen, um eine Gegenposition einzunehmen und diese publik zu machen, damit die Menschen in unserem Land aufgeklärt werden, insbesondere über die Vorgänge an den westlichen Universitäten. Man kann das durchaus vergleichen mit dem sogenannten Gegendarstellungsrecht, das wir in unserer Rechtsordnung kennen.»
Können Sie das vertiefen?
Erken: «In diesem Fall kommt hinzu, dass ich über ein vertieftes Wissen über die Themen verfüge, die in diesem Fall relevant waren. Ich habe mir gesagt: ‚Wenn nicht du das machst, wer denn sonst? Wenn nicht du gegen dieses Unrecht aufstehst, wer soll es denn sonst tun?‘ Insofern sah ich das Ganze auch als eine Art Bestimmung.»
Was waren die für Sie wichtigsten Punkte in der Begründung des Entscheides der UBI am Donnerstag?
Emrah Erken: «Vorab möchte ich festhalten, dass der Entscheid noch nicht rechtskräftig ist und von der Gegenpartei an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. Mein Verfahrensziel war die Bejahung der Verletzung des Vielfaltsgebotes in der gerügten Zeitperiode sowie des Sachgerechtigkeitsgebotes in einem einzelnen Fall. Die Verletzung des Vielfaltsgebotes wurde mit 6 zu 3 Stimmen bejaht. Hervorzuheben ist, dass dies eine Änderung der Rechtsprechung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz bedeutet, sofern der Entscheid in dieser Form rechtskräftig wird. Für einen Anwalt ist es ein ganz besonderer Erfolg, wenn man eine Praxisänderung herbeiführen kann, worauf ich ganz besonders stolz bin.»
Wie beurteilen Sie den UBI-Entscheid mit Blick auf eine mögliche Verletzung des Sachgerechtigkeitsprinzips?
Erken: «Der einzelne journalistische Beitrag, bei dem ich auch eine Feststellung der Verletzung des Sachgerechtigkeitsgebotes wollte, wurde knapp mit 5 zu 4 Stimmen abgewiesen. In jenem Fall ging es um eine hochbetagte jüdische Holocaust-Überlebende, die sich mit dem studentischen Pro-Hamas-Mob solidarisiert hatte und angab, dass die Dinge, die in Gaza geschehen, mit dem Holocaust vergleichbar wären. Ganz grosse Mühe hatte ich damit, dass man eine solche Person als jüdische «Kronzeugin» missbraucht hatte, um den völlig haltlosen Völkermordvorwurf gegen Israel zu bejahen, obwohl diese Frau den spezifischen juristischen Völkermordbegriff gar nicht kennt und gar keine fachliche Meinung dazu haben kann. Zusammengefasst kann man sagen, dass ich etwa 90% meiner Ziele, die ich mir für dieses Verfahren gesteckt hatte, erreicht habe.»
Was hat Sie an der öffentlichen UBI-Beratung am Donnerstagnachmittag besonders bewegt?
Emrah Erken: «Ganz besonders wichtig für mich waren die Worte der Vorsitzenden der UBI, Frau Mascha Santschi, die mich tief bewegt haben, die bei der mündlichen Urteilsberatung ganz am Schluss sprach. Als sie sprach, liefen mir die Tränen herunter, was mir in meiner bisherigen Karriere als Rechtsanwalt noch nie passiert ist. Juristinnen wie Frau Santschi sind ein Glücksfall für unser Land und für dieses Gremium, welches sie völlig zu Recht präsidiert. Ich habe meinen allertiefsten Respekt vor ihr, sowohl als Mensch als auch als Juristin. Sie hat mich aufgrund meiner scharfen Wortwahl in meinen Rechtsschriften getadelt. Das nehme ich sehr gerne entgegen. Andererseits ist es für mich beim Thema Antisemitismus sehr wichtig, nicht um den heissen Brei herumzureden und fadengrad zu sein. Theodor W. Adorno meinte einmal, dass man den Antisemitismus nicht mit Argumenten bekämpfen könne, sondern mit Autorität und Gewalt. Dass ich im Bereich des Antisemitismus eine scharfe Sprache zum Einsatz bringe, hat sehr wesentlich mit dieser zutreffenden Meinung von Adorno zu tun.»
Was bedeutet der Sieg vor der UBI für Sie persönlich?
Erken: «Ich habe mich mit dem Wissen in den Kampfring begeben, dass die Wahrscheinlichkeit, zu verlieren, höher ist, als zu gewinnen. Ich habe mir gesagt, dass das nicht das Entscheidende sein kann. Selbst bei einer Niederlage hätte ich immerhin die Bevölkerung aufgeklärt und eine Gegenposition vertreten. Dass ich jetzt gewonnen habe, macht mich sehr glücklich.»