Wie jedes Jahr traf sich die Branche im Zürcher Kaufleuten zum Swiss Radio Day. Und dabei ist der Name tatsächlich Programm: Waren in den Anfangsjahren noch Kunden und Media-Agenturen dabei, sind inzwischen – abgesehen von einigen Gästen auf den Podien – in erster Linie Radioschaffende unter sich.
Giuseppe Scaglione (47), Gründer und Geschäftsführer der Schweizer Musik-Streaming-Plattform my105, macht sich für den Klein Report Gedanken zum Zustand der Branche.
Die Kunden und Media-Agenturen sind am Vorabend, dieses Jahr am Mittwochabend, jeweils an der Parallelveranstaltung des Vermarkters Swiss Radio World anzutreffen. Das ist vielleicht auch gut so, denn was auf den Podien am Radio Day gesagt oder geboten wird, ist oft derart unprofessionell und provinziell, dass es wohl besser ist, man ist unter sich und die Kunden bekommen davon nichts mit.
So ist es zum Beispiel selbstverständlich, dass auf einem Podium zum Thema «Musikredaktion – Trendsetter oder Mitläufer» Musikredaktoren voller Überzeugung behaupten können, Hitparade und Marktforschung seien des Teufels und sie spielen auf dem Sender in erster Linie, was ihnen persönlich gefällt (und nicht etwa, was bei einem grösseren Publikum gefragt ist).
Keiner stellt die für Privatradios wichtigste Frage: Wie viele Hörer erreicht man denn überhaupt, wenn man seine eigenen Musikpräferenzen an den Leuten auslebt und den Markt dabei komplett ausblendet? Ist das für Kunden interessant? Kann man davon leben? Da man, wie bereits erwähnt, unter sich ist und die wichtigsten Radiokunden gar nicht anwesend sind, muss man diese Frage erst gar nicht stellen.
So geht bei der Diskussion und dem Dudelfunk-Bashing auch unter, dass das inzwischen erfolgreichste und professionellste Privatradio der Schweiz nicht etwa Energy oder Radio 24 ist, sondern SRF 3. Ja, richtig: SRF 3, der eigentliche Staatssender, ist punkto Marktforschung schon einiges weiter als die private Konkurrenz.
Während einige Privatradios in sogenannten Musiktests herausfinden wollen, welche Titel dem Publikum gefallen, weiss SRF3 bereits, bei welchen Songs die Hörer wegschalten – in Zeiten von Spotify und Co. eine äusserst wichtige Information. Keiner scheint sich daran zu stören, dass das gebührenfinanzierte Radio SRF3 in erster Linie auf hohe Hörerzahlen aus ist, während man bizarrerweise genau dies den privaten Sendern (Dudelfunk) zum Vorwurf macht.
Worum es aber beim Swiss Radio Day wirklich geht, zeigte sich erst, als Bala Trachsel, Geschäftsführerin der Werbeagentur Republica, über die von ihr entwickelte Kampagne zur Attraktivitätssteigerung von DAB+ berichtete. Es war vielleicht ungewollt, aber Bala Trachsel zeigte sich in einem Nebensatz von einer derart entlarvenden und erschreckenden Ehrlichkeit, dass man sich die Augen (oder besser Ohren) reiben musste.
So sagte sie tatsächlich, die Hauptsache sei, man könne dafür sorgen, dass der Streaminganteil bei der Radionutzung nicht weiter wachse und sich stattdessen die Leute für DAB+ entscheiden würden. Darum geht es also. Um eine weitere Verhinderungspolitik. So wie die SRG immer private UKW-Konkurrenz auf nationaler Ebene verhindert hat und es die Privatradios bei neuen Anbietern jahrelang auf lokaler Ebene getan haben, so soll es nun munter weitergehen.
Und da Musikstreaming auch in der Schweiz bereits ein grosses Thema ist, will man nun Gegensteuer geben und die Leute umerziehen. Weg vom unkontrollierbaren, internationalen, bösen Streaming zurück zum überschaubaren, steuer- und kontrollierbaren Mini-Markt Schweiz. So ganz wie in den goldigen UKW-Zeiten. Das ist grotesk. Und es ist im Smartphone-Zeitalter pures Wunschdenken.
Es ist absehbar, dass diese Strategie, die komplett am Hörer vorbeizieht, zum Scheitern verurteilt ist. Trotzdem zeigt es, wie eine Branche denkt und wie sie sich isoliert. Und es zeigt auch, wie hier an Kundenbedürfnissen vorbeigearbeitet wird. Während der Online-Audiowerbemarkt stark wächst (in den USA generiert damit allein ein einziger Anbieter wie Pandora einen Umsatz von 950 Millionen Dollar), ist bei DAB+ in Sachen Werbung tote Hose.
Die Kunden wollen für ihr Geld messbare Resulate und klare Zielgruppenansprachen (Stichwort Targetting, Programmatic Audio et cetera). Das geht nur mit Online-Audio, nicht jedoch mit UKW oder DAB. Zynischerweise ist DAB, das sich als digitale, moderne Offenbarung präsentiert, Teil der Old Economy und aus Kundensicht nichts anderes als das veraltete UKW. Digital tönt zwar gut, ist jedoch nicht immer digital.
Fragwürdig ist dabei auch die Rolle des Gesetzgebers. So wird zum Beispiel einseitig die DAB-Verbreitung massiv subventioniert (den Radiostationen werden bis zu 80 Prozent ihrer DAB-Verbreitungskosten vergütet), während die Streamingverbreitung eher behindert wird.
Es ist nicht einzusehen, weshalb der Staat in diskriminierender Weise in die digitale Entwicklung eingreifen und nur eine Technologie fördern soll. Der Gesetzgeber ist dazu aufgerufen, Vorkehrungen zu treffen, damit sämtliche Schweizer Audio-Anbieter ihre Angebote auch über die Schweizer Mobilfunknetze verbreiten können, und zwar ohne, dass dabei das Datenvolumen der Nutzer belastet wird.
In vielen Ländern der Welt ist Spotify bereits eine derartige Zusammenarbeit mit Netzanbietern eingegangen – zum grossen Schaden der Radiosender, die von solchen Datenpaketen ausgeschlossen sind. Das wichtigste Thema am Radio Day hätte deshalb die Netzneutralität sein müssen. Bezeichnenderweise wurde nicht mit einem einzigen Wort darüber gesprochen. Stattdessen klopfte man sich auf die Schultern, weil man Musik abseits der Hitparade spielt.
All dies verheisst nichts Gutes für die Radiobranche. Weil sowohl dem Bundesamt für Kommunikation (Bakom) als auch den meisten privaten Anbietern jedoch schon Jahre zuvor der Weitblick fehlte, wird das Ganze nun leider noch schlimmer. Für das Betreiben eines DAB-Radios braucht es zwar keine Konzession mehr. Das könnte angesichts der unsäglichen Konzessionierungsverfahren in der Vergangenheit tatsächlich eine gute Nachricht sein. Sie ist es aber nicht.
Die DAB-Programmplätze werden zwar nicht mehr durch das Bakom zugeteilt, sondern durch die entsprechende Betreiberfirma Swiss Media Cast. Diese Firma ist allerdings alles andere als unabhängig. Hier amtet ab dem nächsten Jahr – man lese und staune – Dani Büchi, der Chef des Marktleaders Energy, als Geschäftsführer und Verwaltungsratspräsident.
Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Energy offenbar aus seinen Fehlern gelernt hat. Ging der Sender noch im Jahr 2008 bei der Konzessionserteilung leer aus und stand damals vor dem Aus, ist man nun ein paar Jahre später durch den grossen Einfluss bei der Betreibergesellschaft Swiss Media Cast faktisch zur neuen Konzessionierungsbehörde avanciert.
Mancher Radioveranstalter könnte sich deshalb in Zukunft noch die guten alten Bakom-Zeiten zurückwünschen.