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Samstag
16.01.2021

Medien / Publizistik

Die vierte Macht im Staat war einst stolz und viel gepriesen. An der Werdstrasse spart sie sich jetzt selbst weg... (Bild © TX Group)

Die vierte Macht im Staat war einst stolz und viel gepriesen. An der Werdstrasse spart sie sich jetzt selbst weg... (Bild © TX Group)

Die TX-Group räumt wieder einmal auf, diesmal bei den Zürcher Redaktionen der Tamedia-Titel. Was als Aufbau eines Redaktionsnetzwerks verkauft wird, ist ein Sparprojekt, mit dem der Konzern einmal mehr beweist, wie hilflos er dem Medienwandel gegenübersteht.

Eine Feststellung, zwei Thesen und zwei Fragen aus der Corona-gerechten Café-Pause der Redaktion des Klein Reports.

Zunächst die Feststellung: Der einst stolze «Tages-Anzeiger» ist ab Juni ein stinknormales Lokalblatt im Tamedia-Verbund, man muss sogar sagen: ein subalternes Lokalblatt.

Man stelle sich vor, Peter Studer, Roger de Weck oder Esther Girsberger hätten damals, zu den goldenen Zeiten, an den Chefredaktor des «Landboten», der «Zürichsee-Zeitung» oder des «Zürcher Unterländers» rapportiert. So wird’s ab Juni.

Denn geleitet wird der neue Zeitungsverbund von Benjamin Geiger, dem Chefredaktor der Landzeitungen. Die Co-Chefredaktion des «Tagis» mit Mario Stäuble und Priska Amstutz steht im Organigramm unter ihm.

Sie kennen keinen dieser Namen? Damit sind Sie nicht alleine. Profilierte Köpfe sind im Supino-Konzern längst Mangelware. Aussenstehende fragen sich: Wie konnte es soweit kommen? Warum löst die TX-Group ihr Flaggschiff in einer Einheitssuppe auf?

Dazu die erste Erklärungsthese: Ein Grund dafür ist das eigenartig verkorkste Verhältnis von CEO Pietro Supino zu seiner Hauptredaktion. Unter ihm als Konzernchef wird seit Jahren am «Tagi» herumgeschnipselt.

Recherchedesk, Investigativnetzwerk, Datenjournalismus: Solche Dinge sind ihm wichtiger, als die eigenständige Newsredaktion seiner guten, alten Tageszeitung. Pietro Supino sähe sich wohl gerne als väterlicher Patron, der die Exzellenz seiner Edelfedern mit wohlklingenden Projekten fördert, um sich so auch gleich ins gesellschaftliche Rampenlicht zu befördern.

Das Social Climbing des Urenkels von Otto Coninx-Girardet, dem Gründer des «Tages-Anzeigers», ist atemberaubend. Der Umbau und die Einflussnahme auf Themen bei den Blättern auch. Um es euphemistisch zu sagen: Die publizistische Verwesentlichung der Tamedia-Zeitungen ist im Gange. Oder wie es in der Werbung heissen würde: Reduce to the max.

Aber statt Dankbarkeit für den «Patron» gab’s von den frechen Tagi-Gofen immer nur Kritik. Die Quergeist-Redaktion ist unterdessen nachhaltig abgestraft, an der Zürcher Werdstrasse regieren die fleissigen Arbeitsbienen.

Die zweite These: Weil Pietro Supino brave Schaffer (Frauen sind da in der TX Group nicht mitgemeint) um sich schart, fehlt es an der Werdstrasse an Mut, Widerspruch und Ideen.

Das belegt die aktuelle Führungsriege um Marco Boselli, die – wie man hört – die Bezahlmedien mit alten «20 Minuten»-Rezepten fit trimmen will. Boselli, ein umgänglicher Karrierist, aber nicht die Leuchte vom Dienst, was seinen Stand bei den intellektuelleren «Tagi»-Journalistinnen und Journalisten nicht gerade festigt.

Und das zeigt auch die Personalie Benjamin Geiger. Der neue Super-Chef aller Zürcher Tamedia-Redaktionen ist publizistisch ein Nobody, der höchst selten einen Artikel schreibt. Doch er gilt als treuer Vasall im Hofstaat Supinos. Er erledigt alle Sparaufträge zur vollen Zufriedenheit und hält dabei die Klappe. Publizistische Ansprüche? Wozu auch! Spardisziplin statt Innovation: So macht man im Supino-System Karriere. 

Damit zur ersten Frage: Reicht diese neue Sparaktion aus, um die Zürcher Redaktionen der bezahlten Tamedia-Titel abzusichern? Wohl kaum. Die Talfahrt im Print geht weiter, das Online-Geschäft harzt. Der Konzern reagiert immer gleich: sparen, sparen, sparen. Damit im Niedergang noch möglichst lange eine Rendite bleibt.

Zum Schluss noch eine Frage, die über die Branche hinausgeht: Wie steht es denn nun um die Medienvielfalt auf dem Platze Zürich? Wenn die TX Group mitteilt, das neue Netzwerk sei «stärker» und die einzelnen Titel hätten weiterhin «je eigene Profile», ist das ein Hohn.

Der «blaue Bund», das Zürich-Ressort des «Tagis», war bisher linksliberal und stark auf die Stadt fokussiert. Das neue Redaktionskonglomerat muss nun beispielsweise den explizit bürgerlichen «Zürcher Oberländer» beliefern. Dazu wohnt die Mehrheit der Abonnenten plötzlich auf dem Land. Für welches Publikum recherchiert man da? Wie kommentiert man ohne Schere im Kopf? Zudem wird abgebaut.

Die Zahl der Journalistinnen und Journalisten, die der Politik im grössten Kanton der Schweiz auf die Finger schauen, schwindet. Die vierte Macht im Staat war einst stolz und viel gepriesen, in Zürich spart sie sich jetzt selbst weg.