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Samstag
11.12.2021

Medien / Publizistik

Loum: «Wir konnten in den letzten zwei Jahren eine starke Zunahme der Anzahl Hasskommentare feststellen, die uns erreichen.»

Loum: «Wir konnten in den letzten zwei Jahren eine starke Zunahme der Anzahl Hasskommentare feststellen, die uns erreichen.»

«Ich freue mich auf den Moment, wenn alle merken, dass wir reingelegt wurden.» Dies kommentierte ein Leser von «20 Minuten» Anfang Dezember auf Instagram – und zwar unter einem Post der Pendlerzeitung zur Corona-Politik des Bundes.

Der Kommentar hat eine Woche später beinahe 300 Likes und damit am meisten unter dem Beitrag.

Gemäss Beobachtungen des Klein Reports sind solche Äusserungen, welche nicht nur die Corona-Massnahmen kritisieren, sondern in Richtung Verschwörungstheorien und Hetze gehen, zurzeit vermehrt zu lesen bei «20 Minuten».

So werden schlechte Neuigkeiten zur pandemischen Lage oft als «Angstmachereien», «Spinnereien» oder auch als «Fake News» eingeordnet, die politische Lage wird nicht selten als «Diktatur» bezeichnet.

Der Klein Report hat aus diesem Anlass bei «20 Minuten» nachgefragt, wie das Pendlerblatt diese Entwicklung seiner Leserschaft einschätzt und wie es gegen solche Kommentare vorgeht. Geantwortet hat Eliane Loum, Leiterin Kommunikation des Medienportals.

Welche Regeln gibt es bei «20 Minuten» in Bezug auf die Kommentarspalten?
Eliane Loum: «Wir haben detaillierte Spielregeln aufgestellt, die auf unserer Website publiziert sind. Beispielsweise dulden wir in unserem Kommentarbereich keine Form der Diskriminierung. So wird alles, was unter Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus und Ähnliches fällt, ohne Begründung zurückgewiesen. Auch Drohungen und Gewaltaufrufe (zum Beispiel gegen den Bundesrat) werden von uns nicht geduldet.»

Wie werden diese Kommentare ausfindig gemacht?
Loum: «Die Kommentare werden erst durch einen Algorithmus geprüft. In einem zweiten Schritt werden die kritischen Kommentare durch ein rund 20-köpfiges Team aus Freischalterinnen und Freischaltern geprüft und freigeschaltet respektive gelöscht.»

Und inwiefern gelten diese Regeln auch für die Kommentarspalten bei Social Media?
Eliane Loum: «Diese Regeln gelten grundsätzlich auch für Social Media, allerdings läuft das Monitoring getrennt von den Kommentaren auf 20min.ch respektive der App. Das Monitoring der Social-Media-Kanäle wird aktuell stark ausgebaut.»

Kommt es dabei oft vor, dass Kommentare gelöscht werden müssen beziehungsweise nicht veröffentlicht werden? Und gibt es dazu aktuelle Zahlen?
Loum: «Wir erhalten aktuell täglich durchschnittlich 12'000 Kommentare. In normalen Zeiten weisen wir rund ein Drittel der Kommentare zurück. Die Pandemie hat jedoch nicht nur die Anzahl Kommentare steigen lassen, auch der Anteil an zurückgewiesenen Kommentaren ist auf derzeit rund 40 Prozent angewachsen.»

Bei gewissen Beiträgen auf 20min.ch, zum Beispiel zu den aktuellen Corona-Zahlen, ist die Kommentarfunktion deaktiviert. Weshalb?
Eliane Loum: «Wir wollen unseren Kommentarschreibenden einen angeregten Austausch in anständiger Tonalität ermöglichen. Leider ist – gerade bei Themen rund um Corona – der Ton gehässiger denn je. Obwohl wir die Kapazitäten unseres Freischaltteams stark erhöht haben, können wir das Monitoring teilweise nicht innert nützlicher Frist gewährleisten, weshalb wir entschieden haben, bei einigen Corona-Artikeln oder anderen stark polarisierenden Themen die Kommentarfunktion nicht zu öffnen, um Trollen keine Plattform zu bieten.»

Wie beurteilt «20 Minuten» die Entwicklung der Leserschaft in den letzten zwei Jahren? Teilt ihr die Einschätzung einer Polarisierung/Extremisierung?
Loum:
«Ja, wir konnten eine starke Zunahme der Anzahl Hasskommentare feststellen, die uns erreichen. Wir haben in der Folge grosse Anstrengungen unternommen, wie beispielsweise die Einführung der Login-Pflicht für Kommentare im Sommer 2021. Ausserdem haben wir die Kapazitäten unseres Freischalterteams massiv ausgebaut. Diese Massnahmen greifen enorm gut, sodass die Anzahl problematischer Kommentare, die es trotz Kontrollmechanismen auf unsere Seite schaffen, so klein wie noch nie ist. Es gab Tage, wo wir 8'000 Kommentare vor ihrer Publikation gelöscht haben.»

In den Kommentarspalten anderer grosser Medienportale hat sich, unserer Einschätzung nach, der öffentliche Diskurs während der Pandemie nicht so stark verändert. Oft gehen dort die Kommentare in dieselbe politische Richtung und erscheinen im Schnitt differenzierter. Wie erklärt ihr euch, dass sich besonders auf «20 Minuten» viele «extreme» Kommentare finden?
Eliane Loum: «‚20 Minuten‘ verfügt über die grösste Leserschaft der Schweiz, die Leserschaft bildet ein Abbild der gesamten Bevölkerung der Schweiz mit all ihren Facetten und politischen Ausprägungen. Ausserdem macht die grosse Reichweite die Plattform natürlich auch für die Kommentarschreibenden attraktiv, die selbst ein möglichst grosses Publikum erreichen möchten. Wir begegnen dieser grossen Zahl an Kommentaren mit den oben beschriebenen verstärkten Kontrollmassnahmen. Ausserdem nehmen wir unsere Verantwortung im Kampf gegen Fake News durch unseren Fakten-Check wahr, der täglich in Print und Online durch die Wissenschaftsredaktion publiziert wird.» 

Einige eurer Leserinnen und Leser bezeichnen gewisse Neuigkeiten, die ihr verbreitet, als «Fake News» und «Angstmachereien». Dadurch liegt die Vermutung nahe, dass die Redaktion nicht selten anfeindende Mails erhält. Stimmt dies? Und wenn ja, wie geht die Redaktion damit um?
Loum: «Unsere Redaktion erreichen täglich Nachrichten von Menschen, die ihrer Wut über die Corona-Massnahmen Luft machen und die Schuld mindestens teilweise bei den Medien suchen. Wenn unsere Journalistinnen und Journalisten bedroht werden, schalten wir konsequent unseren Rechtsdienst ein und prüfen eine Strafanzeige.»