Seit Mitte März dreht sich «SRF bi de Lüt – Unser Dorf» um Adelboden. Für die einen wird das Dorfleben in dem Berner Oberländer Bergort in den Dreck gezogen. Für die anderen wird endlich einmal klar Schiff gemacht.
«Dank der Fernsehsendung ‚SRF bi de Lüt‘ weiss mittlerweile die ganze Schweiz, was wir hier in Adelboden offenbar hauptsächlich haben», schreibt etwa Peter Schranz in einem Leserbrief im «Thuner Tagblatt» vom Freitag. «Nämlich eine Identitätskrise, massenhaft fromme und konservativ eingestellte Gutmenschen und auf der anderen Seite viele Weltcup-Süffel.»
Auch SVP-Gemeinderatspräsident Markus Gempeler liess gegenüber dem Tamedia-Titel verlauten, dass er die Berichterstattung für unausgewogen halte. Es würden «verschiedene Extreme» gezeigt, die nur einen kleinen Teil der Dorfbewohner beträfen. Das Zusammenleben funktioniere insgesamt sehr gut.
Und natürlich ist auch das Tourismusmarketing, das Adelboden gemeinsam mit Kandersteg und der Lenk betreibt, nicht ganz so glücklich – trotz Sendeplatz zur Prime Time. In einer Stellungnahme zeigte es sich enttäuscht über das Bild, das «SRF bi de Lüt» von dem Bergdorf zeichne.
Tatsächlich: Statt dem allzu erwartbaren «heile Welt»-Idyll zeigt die SRF-Doku auch Seiten, über die sich diskutieren lässt. Zum Beispiel, wie Bewohner des Dorfes, in dem es viele Freikirchen gibt, die Evolutionstheorie ablehnen. Oder ein Homosexueller mit Wurzeln in Portugal erzählt, wie er jahrelang ausgegrenzt worden sei.
«Typisches Mimosendorf, dieses Adelboden», kommentierte am Freitagmittag der «Tagblatt»-Leser Stephan Lombris. «Und typische Trotzreaktion von rechtskonservativen Kreisen, man kennt sowas gut von einer bekannten Volkspartei, dass, wenn man etwas kritisch beäugt und darüber berichtet, die dortigen Dorf- und Touristikoberen natürlich geradewegs auf Trab gehalten werden mit beleidigten und betupften Leberwurst-Kommentaren.»
Auch der Klein Report hat sich ins Getümmel gemischt und bei einem Berner Oberländer, der seit mehreren Jahren in Zürich lebt, nachgefragt, wie er das Höhenfeuer aus der Distanz wahrnehme.
«Mein Eindruck ist, dass es mit ‚SRF bi de Lüt‘ endlich einmal eine Fernsehsendung schafft, das wahre Gesicht weiter Teile des Berner Oberlands aufzudecken. Wer nicht ins typische Familienbild hineinpasst und kritische Anmerkungen zu veralteten Familienbildern und überholten Lebenskonzepten macht, hat es schwer in der Stadt Thun und in den Oberländer Tälern», sagt Matthias Engel, Mitglied des Thuner Stamms von Zürich, einer Gruppe ausgewanderter Berner Oberländer.
Dazu müsse man nicht einmal homosexuell sein, so Engel weiter zum geistigen Horizont seiner Heimat. Es reiche schon, Single sein zu wollen oder anders als die Dorfmehrheit den Nutzen der Schulmedizin und der Impfungen anzuerkennen.
«Ein Kollege von mir ist in einer Thunersee-Gemeinde aufgewachsen. Er wurde von seiner in der Heilsarmee aktiven Familie verstossen und musste aus dem Dorf wegziehen, nur weil er Alkohol trank und rauchte. Mit Mitte 30 war er plötzlich unauffindbar. Erst Wochen später fanden wir nach langem Suchen heraus, dass er einen tödlichen Herzinfarkt gehabt hatte und seine Familie bewusst darauf verzichtet hatte, seinen weltlichen Freundeskreis zu informieren. Das ist nicht den 1950er-Jahren passiert, sondern vor acht Jahren», erzählt Engel sichtlich bewegt.
Wegen des Unmuts über die unliebsame Aussensicht der Unterländer kam es am Donnerstag in Adelboden sogar zu einer Krisensitzung. Vertreter der Gemeinde, aus dem Tourismus und aus dem Verein «Stammgäste Adelboden» berieten sich darüber, wie man auf die SRF-Darstellung reagieren wolle.
Entschieden ist noch nichts. Erst wollen die aufgebrachten Bergler die fünfte und letzte Folge der «SRF bi de Lüt»-Serie abwarten. Diese wird am Freitagabend ausgestrahlt.
Volksnah heisst noch lange nicht unkritisch, sagt man sich im Leutschenbach. Ob man sich in Adelboden aber vom SRF verstanden oder missverstanden fühlt: So oder so wird es nicht die schlechteste PR sein, dass Adelboden – mitsamt dem Gerassel seiner Identitätskämpfe – nun schweizweit zum Dorfgespräch wird.