Beim Scrollen durch die People-Meldungen aus der Zürcher Medienszene fällt auf: In den Redaktionen häufen sich Abgänge von Spitzenpersonal.
Statt weiter auf eine Karriere in der kriselnden Branche zu hoffen, wechseln erfahrene Leute in den öffentlichen Dienst, in die Selbständigkeit oder zur Gartenarbeit.
Wenn ab und zu ein Manager in der Midlife-Crisis eine eigene Firma gründet oder die Branche wechselt, ist das ganz normal. Wenn aber reihenweise Führungspersonal von der vorletzten Stufe der Karriereleiter abspringt, ist das ein sicheres Krisensignal.
Der Klein Report stellt genau dies bei den Zürcher Medienhäusern fest, sowohl bei Tamedia als auch bei der NZZ.
Die «alte Dame» zuerst: Andreas Schürer war 19 Jahre und 7 Monate im Journalismus, davon 10 Jahre bei der NZZ, zuletzt über 2 Jahre als Leiter des Newsrooms und Stellvertretender Chefredaktor. Verantwortungsträger, Integrationsfigur, von der Pike auf geschult, jetzt im besten Alter. Einer von denen, die es braucht, damit eine Newsredaktion gut geschmiert funktioniert.
Doch ein 20-Jahr-Jubiläum im Journalismus hat’s nicht gegeben: Schürer ist seit Anfang Jahr selbstständig mit einem Ein-Mann-Kommunikationsunternehmen am Start und hat zudem die Geschäftsführung der Flughafen-Lobbyvereinigung Komitee Weltoffenes Zürich übernommen.
Über seine ehemalige Arbeitgeberin verliert Schürer – natürlich – kein schlechtes Wort. Einzig in einen Satz auf seinem Linkedin-Profil, er habe in Zusammenhang mit Change-Prozessen im Journalismus «positive und negative Erfahrung» sammeln dürfen, lässt sich etwas Frust hineininterpretieren.
Das jüngste Beispiel heisst Lorenz Hanselmann. Bis vor Kurzem war er Stellvertretender Chefredaktor bei «20 Minuten». Jetzt widmet er sich gemäss eigenen Angaben der Pflanzarbeit und will seinen neuen Garten aus einem braunen Loch in ein Insektenparadies verwandeln.
So ein lockerer Spruch zum Abschied, da muss ja alles in bester Ordnung sein, oder? Hanselmann war seit 2005 im Journalismus. Von der Lokalzeitung steil aufwärts bis in die Chefredaktion des grössten Pendlerblatts: leitender Reporter, Chef vom Dienst, Mitglied der Redaktionsleitung, Blattmacher und «Stv».
Ein grosser Rucksack voll Erfahrung, vielversprechende Zukunft. Doch statt die Karriere im Journalismus beim TX Konzern unter der Leitung von CEO Pietro Supino aufblühen zu lassen, zieht er lieber Grünzeug. Misstöne beim Abgang? Sicher nicht.
«Ich habe entschieden, dass ich meine eigenen Ansprüche an mich als Topjournalist, präsenter Vater und gleichberechtigter Ehepartner in der aktuellen Rolle nicht zufriedenstellend erfüllen kann», sagte Hanselmann im Interview mit dem Klein Report.
Um das Trio der abwandernden «Stvs» voll zu machen, eine Rückblende: Bereits im Herbst 2019 verabschiedete sich Hannes Nussbaumer aus der Tagi-Redaktion. Nach 20 Jahren solider Karriere im Journalimsus mit Leitungspositionen und zum Schluss dem «Stv»-Posten an der Werdstrasse wechselte er zum Kanton Zürich in den Kommunikationsstab von SP-Justizdirektorin Jacqueline Fehr.
Auch da keine Misstöne, doch der Fakt bleibt: Lieber ein Hintergrundjob in einer Amtsstube als an der Newsfront bei Tamedia.
Das Muster wiederholt sich in den Zürcher Medienhäusern: In der zweiten Reihe der Redaktionsteams findet ein Exodus statt.
Eines von weiteren Beispielen dafür ist Michael Schoenenberger, der per Anfang Januar von der NZZ zur Beratungsfirma Hirzel-Neef-Schmid-Konsulenten wechselte, ebenfalls nach 20 Jahren im Journalismus, zuletzt auf dem prestigeträchtigen Posten als NZZ-Inlandchef.
Des einen Leid, der anderen Chance: Die Abgangswelle betrifft vor allem Männer. Ersetzt werden sie durch Frauen. Désirée Pomper, bisher Leiterin Ressort Storys, ist seit Anfang Monat die neue «Stv» bei «20 Minuten».
Und bei der NZZ ist nun die bisherige Lateinamerika-Korrespondentin Nicole Anliker stellvertretende Chefredaktorin. So tut sich immerhin etwas in Bezug auf die penible Frauenquote in der Branche.