Eine Gruppe von Mitarbeitern des «Tages-Anzeigers» hat einen Protestbrief an die Chefredaktion geschrieben. Der Brief wurde von 121 Redaktoren aus der Print- und Onlineredaktion unterzeichnet. Die sogenannte «Gruppe 200» beklagt sich über die Auswirkungen der Fusion von Print- und Onlinebereich. Die Konvergenz war am 19. August 2013 in Kraft getreten.
«Die bisherigen Erfahrungen mit der Konvergenz machen uns Sorgen. Sie wirken sich auf die Stimmung aus, die Arbeit und damit auf die Qualität des `Tages-Anzeigers`», heisst es in den ersten Zeilen des Schreibens. Die Konvergenz hätte Abläufe vereinfachen sollen, das Gegenteil sei eingetroffen. Die Abläufe seien nun weniger transparent und die Arbeitsbelastung steige ständig.
«Das Tagesgeschäft ist nervös, klickgetrieben und damit auch anfällig für nicht hinterfragtes Mitwirken in boulevardesken Übertreibungen und Kampagnen», finden die Mitarbeiter und verlangen weniger Ausrichtung an Klickzahlen und mehr Nüchternheit auf beiden Kanälen.
Die «Gruppe 200» schlägt vor, eine gemeinsame und doch doppelte Strategie für den «Tages-Anzeiger» zu entwickeln. Online sollen schnelle und kompetente News zu finden sein und in der Printausgabe Analysen und Hintergründe. Die Mitarbeiter verlangen zudem, dass die aufwendigen und exklusiven Texte und Bilder dem Bezahlkanal vorbehalten sein sollen.
Die Unterzeichner des Protestschreibens üben auch Kritik an der Herausgeberin Tamedia. «Der Verlag kauft immer neue Zeitungen, investiert aber wenig in seine traditionsreichste Marke; stattdessen wird laufend gekürzt, werden Stellen nicht wieder besetzt, und dies auch an wichtigen Schnittstellen», heisst es. Die Redaktionsmitarbeiter würden Überstunden machen und stünden ständig unter Druck. Die Gruppe fordert deshalb die Besetzung längst vakanter Positionen.
«Niemand auf der Redaktion bestreitet, dass die Konvergenz nicht nur nötig ist, sondern eine gute Sache. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten gerne zusammen oder möchten es, aber der Stress, die vielen Absprachen, der mitunter barsche Befehlston führen dazu, dass die inhaltliche Diskussion darunter leidet», schreiben die Unterzeichner zur aktuellen Situation auf der «Tages-Anzeiger»-Redaktion.
Unterzeichner und Sprecher der «Gruppe 200» Jean-Martin Büttner wollte gegenüber dem Klein Report nicht Stellung nehmen. «Ich möchte mich zurzeit nicht öffentlich über unsere Auseinandersetzung äussern, sondern diese intern führen. Alles andere wäre zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiv und nicht im Sinne unseres Vorstosses», schrieb er.
Auch Philipp Löpfe, der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», der seinen Weggang von Tamedia bekannt gab, gab sich übervorsichtig und wollte auf Anfrage keine Stellung abgeben, da er über den Protest und dessen Ziele nicht genug Bescheid wisse.