Mit einem Bericht über einen Durchbruch in der Erforschung von Long Covid hat die «Tagesschau» für viel Unmut bei Betroffenen gesorgt. Zu Recht: Der Beitrag hat das Sachgerechtigkeitsgebot klar verletzt.
Nicht weniger als 27 Beanstandungen provozierte die «Tagesschau» mit ihrem Bericht vom 19. Januar. Am meisten störten sich die Beanstander und Beanstanderinnen an den Aussagen eines interviewten ehemaligen Long-Covid-Patienten.
«Auch wenn die Hoffnung auf ein Medikament gegen Long Covid erfüllt werden sollte: Es wird wohl noch Jahre dauern. Es kann darum nicht verwundern, dass Betroffene skeptisch sind», lautet die Anmoderation in dem «Tagesschau»-Bericht, bevor Daniel Albisetti, Inhaber eines Handwerkbetriebs, zu Wort kommt.
«Ich war immer auch etwas velofahren am Wochenende», sagt Albisetti dann, «ich habe mich so wieder... so bin ich wieder fit geworden. Ja, ich glaube es. Und auch mit dem Arbeiten, dass man etwas macht und dass man nicht faul rumsitzt.»
Daraufhin fragt der «Tagesschau»-Reporter zurück: «Das ist fast wichtiger als Medikamente, haben Sie das Gefühl?», worauf der KMU-Unternehmer anwortet «Ja, ich glaube es fast, ja.»
Neben dem genesenen Long-Covid-Patienten kommen in dem Beitrag auch Wissenschafter und eine SRF-Wissenschaftsredaktorin zu Wort.
Die 27 Beanstander und Beanstanderinnen – die meisten leiden selber unter Long Covid – empfanden die Aussage des Interviewten als «stigmatisierend», «ehrverletzend», «verharmlosend» und «fachlich falsch».
Solche Aussagen würden ein falsches Bild von der Krankheit verbreiten und diese verharmlosen. Der Interviewpartner sei nicht repräsentativ für die Mehrzahl der von Long Covid Betroffenen.
Ja, er scheine mehr von «post-akuten Covid-Beschwerden» betroffen zu sein als von Long Covid. So scheine er nicht unter der für Long Covid typischen Belastungsintoleranz zu leiden. Viele Betroffene seien aufgrund ihrer Symptome gar nicht in der Lage, sich körperlich zu betätigen.
Die «Tagesschau»-Redaktion hat «aus Respekt vor den Schwerstbetroffenen» den kritisierten Beitrag im Player gesperrt und das Thema Long Covid in einem «10vor10»-Beitrag ein paar Wochen später nochmals aufgegriffen.
Doch von solchen nachgeschobenen Kurskorrekturen liess sich die Ombudsstelle nicht beeindrucken. Der kritisierte Beitrag sei so zu beurteilen, wie er am 19. Januar zur abendlichen Primetime über den TV flimmerte.
Wer den «Tagesschau»-Bericht gesehen habe, bekam den Eindruck vermittelt, als brauche es keine weiteren Erkenntnisse, um von Long Covid zu gesunden. «Das mag die Meinung des einen Genesenden sein. Die Auswahl des ‚Kronzeugen‘ legt also nahe, dass Long Covid eigentlich problemlos durch Sport und Arbeit bekämpft werden kann», schreiben die Ombudsleute in ihrer Stellungnahme.
Es gebe aber erwiesenermassen nicht wenige Erkrankte, die weder in der Lage sind, Sport zu betreiben noch wieder zu arbeiten.
Für die Ombudsstelle gibt es daher nichts zu deuteln: «Die Meinungsbildung wurde durch die Auswahl des Patienten, ohne dass ein anderes Long-Covid-Opfer zu Wort gekommen wäre, unzulässig verfälscht. Daran ändert sich auch nichts, dass es sich bei Albisetti um seine persönliche Erfahrung und Perspektive handelt. Eine zweite Erfahrung und Perspektive wäre zu anderen Schlüssen gekommen und hätte eingeholt werden müssen.»
Die «Tagesschau» hat mit dem Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss Artikel 4 des Radio- und Fernsehgesetzes verletzt.