Mit einem Beitrag über kulturelle Aneignung hat sich SRF Kultur bei einer Userin den Vorwurf eingehandelt, unkritisch zu sein gegenüber der Cancel-Culture.
«Dieser Artikel steht exemplarisch für die nicht nur falsche, sondern auch brandgefährliche Idee der Identitätspolitik und des Opferkults unter den Ethnien, welcher offenbar in der SRG-Kultursektion zum unantastbaren Kanon geworden ist», schreibt die Userin in ihrer episch langen und reichlich gepfefferten Beanstandung.
Alles in allem kritisierte die Leserin den Online-Artikel vom 25. März 2022 als unausgewogen. Nebst der Vertreterin des Vereins Diversum hätte sie sich eine Gegenstimme sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema der kulturellen Aneignung gewünscht.
Darunter wird bekanntlich die Übernahme von Kultur-Elementen von Trägern einer anderen Kultur bezeichnet. Aktueller Aufhänger für den Online-Artikel – und den dazugehörigen Radiobeitrag von «Kultur-Aktualität» – war das M4Music-Festival, das Ende März in Zürich stattgefunden hat.
An dem Festival leitete Melanie Zwahlen, Sozialarbeiterin und Mitglied von Diversum, dem «Verein für rassismuskritisches Denken», einen Workshop zu dem besagten Thema. Zur gleichen Zeit sagte «Friday for Future» ein Konzert der deutschen Musikerin Ronja Maltzahn wegen ihrer Dreadlocks ab.
«Unfassbar, da wird eine Musikerin, die ironischerweise genau für Diversität und alle linken Tugenden steht, aufgrund einer ideologischen Zensur-Idee ausgeladen, und das SRF stellt keine kritischen Fragen, unglaublich. Künstlerische Freiheit, individueller Charakter, politische Einstellung und Meinungsfreiheit? Egal, kein Satz dazu, nur Schwadronieren darüber, wie schlimm und rassistisch unsere Gesellschaft doch sei, obwohl sie noch nie so vielfältig und tolerant war wie jetzt, bizarr», wetterte die Beanstanderin weiter.
Anstatt die ideologisch motivierte Cancel-Culture kritisch zu hinterfragen, habe man eine einseitige und parteiische Expertin zum Thema zu Wort kommen lassen.
Auch die Ombudsleute Esther Girsberger und Kurt Schöbi kamen zum Schluss, dass der beanstandete Artikel «nicht neutral» sei, sondern das Konzept der kulturellen Aneignung unterstütze. Deshalb gleich einen Sachgerechtigkeitsverstoss zu erkennen, sei aber falsch, heisst es in der Stellungnahme.
«Seit Jahren übernehmen Kulturressorts nicht selten gesellschaftliche Diskussionen über politische Entwicklungen, soziale Probleme oder kulturelle Veränderungen. Die reine Kulturberichterstattung im Sinne von Rezensionen finden praktisch nirgends mehr statt», so die Begründung.
So habe auch die kritisierte Sendung nicht einfach über das Schweizer M4Music-Festival berichtet, sondern den Workshop «Kulturelle Aneignung und Musik» zum Anlass genommen, «um über die erwiesenermassen nicht unumstrittene ‚kulturelle Aneignung‘ nicht objektiv mit Für und Wider zu berichten, sondern aus der befürwortenden Perspektive. Das ist in einer Kultursendung legitim – zumal Kulturberichterstattung eigentlich gar nicht rein objektiv ausfallen kann.»
Das Sachgerechtigkeitsgebot sei umso weniger verletzt, als SRF auch schon die gegnerische Seite beleuchtet habe. Ausserdem müssten Beiträge nur vor Abstimmungsvorlagen in sich ausgewogen sein.