Content:

Samstag
22.03.2025

Medien / Publizistik

Hat die Zeitung bisher geschlafen?

Hat die Zeitung bisher geschlafen?

Dem «Tages Anzeiger» ging ein Lichtlein auf. Ab sofort transkribiert er die ukrainischen Namen im Sinne von Kiew (respektive Kyjiw). Dem Klein Report stellt sich die Frage: Hat die Zeitung bisher geschlafen?

Der Krieg in der Ukraine läuft seit über drei Jahren. Exakt 1’120 Tage. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Dies ist die erschütternde Realität. Nach dieser langen Zeit ist der Tamedia-Redaktionsleitung nun offenbar ein Lichtlein aufgegangen.

«Tages Anzeiger», «Basler Zeitung», «Berner Zeitung» (und zugewandte Publikationen) ändern sofort die Schreibweise der ukrainischen Namen und Geographiebezeichnungen. Aus Kiew wird Kyjiw – aus Wolodimir Selenski wird Wolodymyr Selenskyj.

Raphaela Birrer, die Chefredaktorin des «Tages Anzeigers», liefert dazu die geschichtlichen Hintergründe: «Bis jetzt orientierten wir uns bei den Schreibweisen und bei der Transkription zumeist an der russischen Sprache, die einige andere Buchstaben hat als die ukrainische. Seit 1991, dem Ende der Sowjetunion, ist die Ukraine ein souveräner Staat. Das Ukrainische ist die Amtssprache des Landes. Die ukrainischen Schreibweisen zu verwenden, bedeutet also, die Amtssprache zu anerkennen, was bisher weitestgehend unberücksichtigt blieb.»

Dies mag richtig sein. Dennoch muss man sich fragen: Weshalb kommt der «Tages-Anzeiger» erst jetzt zu dieser Erkenntnis?

Die «Weltwoche» von Roger Köppel beispielsweise, die kaum im Verdacht steht, die Botschaft aus Kiew zu verkünden, verwendet schon immer die ukrainische Schreibweise.

Kommt dazu, dass die Trendwende an der Zürcher Werdstrasse mit der Realität im kriegsversehrten Land wenig zu tun hat. Viele Ukrainer sprechen Russisch. Viele tragen russische Namen. Bis zum Überfall Putins machten sie kaum einen Unterschied zwischen den beiden Ländern.

Deshalb wollte es die Redaktion des Klein Reports genauer wissen und richtete an die Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers» folgende Fragen:

Der «Tages-Anzeiger» ändert die Schreibeweisen der ukrainischen Namen. Weshalb ausgerechnet jetzt – über drei Jahre nach Kriegsbeginn? Liegt dahinter eine politische Motivation? Wie gehen Sie mit ukrainischen Namen um, die aus der russischen Sprache kommen? Befürchten Sie nicht, die Leserschaft mit dem Wechsel zu verunsichern?

Die Antworten kamen nicht von Chefredaktorin Birrer, sondern von der Abteilung Kommunikation durch Franziska Lurk. Diese ging nicht auf die einzelnen Punkte ein, griff in die Schublade für standardisierte Antworten und schrieb: «Diese Anpassung steht natürlich schon länger im Raum. Bislang orientierten wir uns bei den Schreibweisen und bei der Transkription zumeist an der russischen Sprache. Das ist historisch gewachsen und ein entsprechender Prozess. Wir setzen dies nun ab sofort um. Änderungen der Schreibweisen haben wir im Lauf der Zeit immer wieder vorgenommen, sind also nichts Neues und gehören auch zu historischen Entwicklungen.»

Der Klein Report staunt, dass die Chefredaktorin zu dieser Sache keine eigene Meinung vertritt, sondern die Kommunikationsabteilung vorschiebt. Merkwürdig bleibt, dass der «Tagi» erst mit drei Jahren Verzögerung seine Praxis ändert.