Das Aus für das «Wissenschaftsmagazin» von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat viel Unverständnis ausgelöst. Eine Gruppe von Professoren und Professorinnen protestierten mit einem offenen Brief und lancierten eine Petition.
Der Klein Report sprach mit der Präsidentin des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus (SKWJ), Stephanie Schnydrig, über Umfang und Bedeutung des SRF-Kürzungsentscheides, über neue Finanzierungsmodelle und über den Spagat, den die Wisschenschaftsjournalisten und -journalistinnen zwischen komplexen Forschungsergebnissen und klickgetriebener Aufmerksamkeitsspanne tagtäglich machen müssen.
Was bedeutet die Einstellung des SRF-«Wissenschaftsmagazins» für die wissenschaftsjournalistische Landschaft der Schweiz?
Stephanie Schnydrig: «Mit der Einstellung des SRF-‚Wissenschaftsmagazins‘ verliert die Schweiz ein schlagkräftiges Team aus herausragenden Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten. Besonders drastisch ist die geplante Reduktion der Redaktion um zwei Drittel – von 530 auf nur noch 180 Stellenprozente. Das hat gravierende Folgen, denn eigenständige Wissenschaftsredaktionen sind in der Schweizer Medienlandschaft ohnehin rar. Und obschon die derzeitige Medienkrise alle Ressorts betrifft, sind die Einschnitte in den noch vorhandenen Wissenschaftsredaktionen besonders schmerzhaft, weil die meisten schon immer eher dünn besetzt waren. Dies in einer Zeit, in welcher der Wissenschaftsjournalismus gestärkt werden sollte.»
Der Entscheid der SRF-Spitze hat zu einem Aufschrei geführt. In einem offenen Brief kritisieren Professorinnen und Professoren den geplanten Abbau. Wo sind in der letzten Zeit sonst noch Stellenprozente im Wissenschaftsjournalismus gestrichen worden, ohne dass dies öffentlich diskutiert oder schon nur bemerkt wurde?
Schnydrig: «Jüngste Beispiele sind die Einstellung der ‚Schweizerischen Ärztezeitung‘ sowie eine Stellenkürzung im Wissensressort der Tamedia-Zeitungen. Auch die Online-Medien Heidi News in der Westschweiz und Higgs in der Deutschschweiz schrumpften entweder massiv oder sind ganz verschwunden. Das hat nicht nur Folgen für festangestellte Redaktorinnen und Redaktoren, sondern auch für die Freien. Denn es gibt immer weniger Publikationen, denen sie ihre Werke überhaupt anbieten können. Wir merken die Entwicklungen auch in unserem Klub: Immer mehr von unseren Mitgliedern verabschieden sich ganz oder teilweise aus dem Journalismus und gehen in die Kommunikationsbranche. Was aber auch stimmt: Zwar hat die NZZ die Wissensredaktionen der NZZ und der ‘NZZ am Sonntag’ zusammengelegt, was ein Verlust der Medienvielfalt ist, aber insgesamt wurde das Team vergrössert.»
Von den durchschnittlichen Medienkonsumenten und -konsumentinnen wird die wissenschaftsjournalistische Rubrik eher als nice to have wahrgenommen, wenn etwa zum wiederholten Mal über Schwarze Löcher am Sternenhimmel berichtet wird oder darüber, wie gesund Avocados sind. Wie sehen Sie das als SKWJ-Präsidentin?
Stephanie Schnydrig: «Wissenschaftsjournalismus darf und muss unterhalten. Das ist eine echte Bereicherung für jedes Medium. Gerade wenn die Flut an schlechten Nachrichten aufgrund der momentanen Weltlage gar nicht aufhören will. Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht zielführend, dem einen Zweig des Wissenschaftsjournalismus seine Berechtigung abzusprechen. Aber klar muss der Wissenschaftsjournalismus auch die Themen aufgreifen, welche die Welt gerade vor unseren Augen verändern: Klima- und Biodiversitätskrise, Künstliche Intelligenz, die Polarisierung innerhalb von Gesellschaften, die personalisierte Medizin, um nur ein paar Beispiele zu nennen.»
Weshalb genau ist diese Art der wissenschaftsjournalistischen Berichterstattung aus Ihrer Sicht wichtig?
Schnydrig: «Während der Wissenschaftsjournalismus schrumpft, wachsen die Kommunikationsabteilungen der Hochschulen. Auch sie können zwar über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse informieren, sie für ein Laienpublikum übersetzen. Aber die Einordnung können sie nicht übernehmen – das sind wir Wissenschaftsjournalistinnen. Unsere Aufgabe ist es, eine kritische Distanz zu wahren und zu warnen, wenn wissenschaftliche Studien und vermeintliche Experten zweifelhaft erscheinen. Nur so kann der Wissenschaftsjournalismus – und der Journalismus als Ganzes – Vertrauen gewinnen und ein Bollwerk gegen Desinformation sein.»
Wie hat der zunehmende Drift der Aufmerksamkeit in die sozialen Medien den Wissenschaftsjournalismus in den letzten Jahren beeinflusst und verändert?
Stephanie Schnydrig: «Dieser Wandel betrifft alle Ressorts: Immer mehr Inhalte in immer kürzerer Zeit, möglichst zugespitzt, zu liefern, um bei den Likes, Klicks und Reichweiten mithalten zu können. Im Wissenschaftsjournalismus ist das manchmal besonders schwierig, weil die Themen oft komplex und vielschichtig sind. Sie lassen sich nicht immer auf knackige Schlagzeilen reduzieren, ohne dabei an Tiefe und Genauigkeit zu verlieren. Gleichzeitig steigt der Druck, schnell auf aktuelle wissenschaftliche Studien zu reagieren – auch dann, wenn deren Ergebnisse noch unsicher oder kontrovers sind. Wie heikel dies ist, haben wir während der Covid-19-Pandemie erlebt. Auch erlebt haben wir in der Pandemie, wie leicht fehlerhafte Darstellungen wissenschaftlicher Erkenntnisse viral gehen können. Dem muss seriöser Wissenschaftsjournalismus entgegenwirken. Damit bieten die sozialen Medien auch Chancen: Wenn es gelingt, glaubwürdige Stimmen einzubringen, kann das zu faktenbasierten Diskussionen beitragen.»
Doch wie kann sich der Wissenschaftsjournalismus in der klick- und like-getriebenen Aufmerksamkeitsökonomie von Tiktok, Facebook und Co. überhaupt behaupten?
Schnydrig: «Er muss sich an die Spielregeln der sozialen Medien anpassen, ohne dabei seine journalistischen Werte zu opfern. Denn nur so kann er es schaffen, auch die jüngere Generation zu erreichen. Es gibt erfolgversprechende Formate, die Aufmerksamkeit wecken und gleichzeitig fundierte Informationen vermitteln – etwa kurze, prägnante Erklärvideos oder animierte Infografiken. DW Science, der Tiktok-Kanal der Deutschen Welle, macht zum Beispiel gute Sachen. Es bleibt eine Herausforderung, eine Balance zu finden zwischen Genauigkeit und Reichweite – deshalb organisiert unser Klub diesen Frühling für unsere Mitglieder auch ein Seminar, bei dem es genau darum geht.»
Eine Sparrunde jagt derzeit die andere in den Medienhäusern. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um den Wissenschaftsjournalismus bei schrumpfenden Budgets zu finanzieren? Was ist in dieser Richtung bereits geschehen, was geplant oder gefordert?
Stephanie Schnydrig: «Tatsächlich gibt es viele Ideen und Lippenbekenntnisse. In den letzten Jahren sind dazu ganze Berichte entstanden, zum Beispiel einer unter Leitung von Mike S. Schäfer von der Universität Zürich, in dem eine ganze Reihe von Szenarien zur Verbesserung des Wissenschaftsjournalismus entwickelt worden sind. Bislang hat allerdings noch kaum etwas gefruchtet. Eine Idee, die unser Klub vorantreiben möchte, ist die eines unabhängigen Fonds für aufwändige und relevante wissenschaftliche Recherchen, die sich Redaktionen nicht mehr leisten können oder wollen. Ebenso braucht es einen Fonds für Weiterbildungen, die den Wissenschaftsjournalisten erlauben, ihre Expertise auszubauen. Wichtig ist, dass die von den Redaktionen die Zeit dafür erhalten – wenn schon nicht das Geld. Bei allen Ideen ist es für unseren Klub zentral, Interessenkonflikte durch eine allfällige Förderung zu vermeiden. Ein aus unserer Sicht vorbildliches Beispiel ist ein Innovationsfonds für multimedialen Wissenschaftsjournalismus, den die Gebert Rüf Stiftung ins Leben gerufen hat und bei dem Projekte mit bis zu 20’000 Franken gefördert werden.»
Liegt in der Einstellung des SRF-«Wissenschaftsmagazins» auch eine Chance?
Schnydrig: «Derzeit läuft noch eine Petition gegen die Einstellung des ‚Wissenschaftsmagazins‘, die zwanzig namhafte Professorinnen und Professoren lanciert haben. Vielleicht bleibt es uns ja doch erhalten. Aber wie es letztlich auch kommt, hoffe ich, dass die Meldung von SRF aufrüttelt – und eine positive Dynamik in Gang setzt.»