Die «Behindertenorganisation» Pro Infirmis ist offenbar mit «gravierenden Problemen» konfrontiert. Ihre Jahresrechnung schliesse mit einem Minus von 18 Millionen Franken ab, wie SRF am Freitag publik machte.
Zahlreiche Twitter-User störten sich neben diesem Minus auch über die Verwendung des Begriffs «Behindertenorganisation».
«Pro Infirmis ist keine Behindertenorganisation im eigentlichen Sinn und wird auch nicht von Menschen mit Behinderung geführt», stellte ein Twitter-User klar. Für ihn ist Pro Infirmis ein vor hundert Jahren gegründetes Sammelhilfswerk, dessen Geschäftsmodell Spendengelder sind.
Bei einer «Behindertenorganisation» müssen die Schlüsselpositionen mit Menschen mit Behinderung besetzt sein, berichtigt dieser Twitter-User weiter.
Für ihn ist die Verwendung «Behindertenorganisation» im Zusammenhang mit Pro Infirmis etwa gleich irreführend, wie wenn man die Sozialdemokratische Partei (SP) als Gewerkschaft bezeichnen würde.
Im Laufe des Tages übernahmen auch andere Medien diesen Fehler unkritisch. Auch die Verlage Tamedia, CH Media und Ringier haben in ihren Zeitungsartikeln den Begriff «Behindertenorganisation» im Zusammenhang mit Pro Infirmis verwendet.
Beispielsweise wurde in den Medien der Verlagsgruppe CH Media Pro Infirmis in einem Interview mit der Direktorin Felicitas Huggenberger gar als «Dachorganisation zahlreicher regionaler und lokaler Behindertenorganisationen» bezeichnet.
Eine kurze Prüfung ergibt, dass agile.ch der tatsächliche Dachverband der Behinderten-Selbstvertretungsorganisationen ist und somit 1,7 Millionen Menschen mit Behinderungen in der Schweiz vertritt. Pro Infirmis sucht man vergebens in der Mitgliederliste.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Dachverband, der sich als Stimme sowohl von Behindertenorganisationen als auch von Fachorganisationen aus dem Behindertenbereich versteht: Inclusion Handicap. Dort bestimmt Pro Infirmis tatsächlich mit – wenn auch nur als eine von zwei Dutzend Mitgliederorganisationen.
Bei der Deligiertenversammlung im November 2022 kam es bei Pro Infirmis zum Eklat. Die Führung zerbrach unter anderem an der Frage, ob es einen Präsidenten ohne Behinderung geben dürfe. Darauf folgte ein Exodus im Vorstand.