Der Verkauf der ricardo.ch AG an Tamedia hat die Medienbranche aufgerüttelt. Ricardo.ch bringt dem Zürcher Medienhaus 2,3 Millionen registrierte Mitglieder und 660 Millionen Franken Warenumsatz. 240 Millionen Franken liess sich Tamedia diesen Deal kosten. Der Klein Report wollte von verschiedenen Vertretern der Medienbranche wissen, wie sie die Übernahme bewerten und was sie für den E-Commerce in der Schweiz bedeutet.
«Ich denke, dass es sich dabei um einen weiteren, cleveren und konsequenten Schritt bei der Umsetzung der `digitalen Marktplatzstrategie` von Tamedia handelt», fand der CEO der Plakatgesellschaft APG, Markus Ehrle, gegenüber dem Klein Report «Das macht Sinn und bietet - wenn plattformübergreifend smart bespielt - grosses (Konsolidierungs-)Potenzial im wachsenden E-Commerce-Markt.»
Über die Konsolidierung macht sich auch Maurizio Rugghia, Managing Director der Digitalagentur Serranetga, Gedanken: «Praktisch alle wichtigen Schweizer Classified- und E-Commerce-Plattformen befinden sich nun im Portfolio von Tamedia oder Ringier. Die beiden Verlage verfolgen die Diversifikation in digitale Bereiche konsequent weiter und erschliessen dort neue Ertragsquellen.»
Rugghia hält den Kauf von Ricardo für einen logischen Schritt aus der Sicht von Tamedia: «Der Konzern kann so einerseits Einbrüche aus dem Printbereich durch die Erweiterung des ertragsreichen digitalen Portfolios kompensieren, andererseits kann er die bereits vorhandenen Reichweiten zusätzlich veredeln. Der zweite Punkt ist aus Sicht der Werbetreibenden besonders interessant. Durch den Kauf von ricardo.ch erhält Tamedia Zugang zu Daten über das Surf- und Kaufverhalten von über zwei Millionen Mitgliedern.»
Bora Günaydin, Mitgründer & CEO Montemedia, bläst ins selbe Horn und hat ebenfalls die Werbekunden im Blick: «Spannend ist die Aggregation und Analyse der wertvollen und anonymen Daten (über die Interessen, das Verhalten und Vorhaben) der Nutzer. Dieses Potenzial kann Tamedia jetzt plattformübergreifend nutzen und zusätzlich mehr Werbeeinnahmen generieren.» Es sei ein guter Schritt für die Stärkung von Tamedia auf diesem Markt, findet er.
Franz d`Huc, CEO des Digitalnetzwerkes Adwebster, war von der Kaufnachricht nicht überrascht. Bereits nach der Übernahme von Trendsales durch Tamedia habe man von dieser Akquisition ausgehen können, sagte er dem Klein Report.
«Für Tamedia ist diese Akquisition ein gelungener, weiterer Schritt in den Onlinebereich. Dadurch verspricht sich der Verlag zurecht Wachstum und Marktanteile bei der Neudefinition seines Geschäftsmodells bzw. seiner Transformation in Richtung Online. Die unternehmerischen Herausforderungen bleiben nun zu meistern, um den bezahlten, sehr hohen Preis auch zu rechtfertigen», findet d`Huc. Die weitere Konsolidierung der grossen Teilnehmer sei nuun absehbar: «Bewegung tut gut und schliesslich gilt auch hier ´the winner takes it all´.»
Ein grosses Lob für Tamedia hat Moreno Cavaliere, Sales & Marketing Direcor von Publicitas, übrig: «Ich freue mich, dass sich ein Schweizer Medienunternehmen derart stark engagiert und in wichtige Zukunftsmärkte investiert. Ich denke, dass Tamedia in den vergangenen Monaten und Jahren Weitsicht bewiesen hat mit derartigen Aquisitionen. Homegate, Jobs.ch (zusammen mit Ringier), Local (zusammen mit Swisscom) seien hier erwähnt. Tamedia verfolgt die Strategie als führendes Unternehmen in Print- und Digitalmärkten vorbildlich und konsequent.»
Ringier war ebenfalls am Kauf von Ricardo interessiert. Unternehmessprecherin Danja Spring gibt sich trotz des Zuschlags an die Konkurrenz gelassen: «Ringier Digital ist gut positioniert und stark am Wachsen. Zudem ist der Schweizer Markt im Bereich Marketplaces noch unterentwickelt. So sehen wir grosses Potenzial im Ausbau der Reichweite, bei der Neu- und Weiterentwicklung von Produkten sowie Dienstleistungen für unsere Kunden.»
Für die Scout24-Gruppe, die Tamedia mithilfe von autoricardo stärker konkurrieren will, bedeute das, dass Ringier sich dort auf die Kernaufgabe konzentriere. «Dem Kunden das beste und effektivste Produkt zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten sowie unsere Dienstleistungen stetig ausbauen.» Die Marktleader-Position von AutoScout24 sei für Tamedia auch mit dem Zukauf nicht in Reichweite, meinte Spring abschliessend.
Ähnlich sieht das Cyrill Mostert, Country Manager des Parkplatz-App-Unternehmens Parku. AutoScout24 sei genug gross, um sich ohne Probleme gegen autoricardo und car4you behaupten zu können.
«Tamedia hat sich das sicher gut überlegt. E-Commerce ist eine wichtige Zukunftssparte», meinte er weiter zum Kauf und versetzte sich in die Position der Verkäufer: «Ricardo ist sicher sehr lukrativ. Die Besitzer wollten nun wahrscheinlich von den Investitionen, die sie in die Portale des Unternehmens gemacht haben, profitieren.»
Kritik an der Investition von Tamedia bringt dagegen Oliver Flückiger, Gründer des personalisierten Musikfensehens Rayneer, an: «Mir als Startupper tut es natürlich im Herzen weh, dass Tamedia so teuer ein Web-1.0-Unternehmen kauft und nicht vermehrt früher in Start-ups investiert. Das braucht zwar Mut zum Risiko, aber bei den richtigen Investments müsste man nicht so teuer Firmen akquirieren.»
Auch Ricardo war mal ein Start-up. Das Unternehmen wurde im November 1999 im zugerischen Baar gegründet. Peter van der Touw, CEO der Agentur Notch Interactive, begrüsst, dass Ricardo nun wieder in Schweizer Hand ist. «Ricardo ist ja heute schon der grösste Onlinemarktplatz der Schweiz. Gewisse Synergien mit weiteren Plattformen von Tamedia sind sicher möglich», meinte er weiter.
Notch Interactive ist seit einem Jahr die digitale Leadagentur von ricardo.ch. Das soll sich laut van der Touw auch nicht ändern: «Wir gehen davon aus, dass die erfolgreiche Zusammenarbeit fortgesetzt wird. Tamedia ist mit search.ch ja bereits in unserem Kundenportfolio vertreten.»