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Donnerstag
27.10.2016

TV / Radio

Bild von «Charlie Hebdo»-Cartonist Luz

Bild von «Charlie Hebdo»-Cartonist Luz

Am Montag ist Michael Luisier für seine Sendung über den «Charlie Hebdo» Zeichner Luz mit dem Zürcher Radiopreis 2016 ausgezeichnet worden. Luz hatte das Attentat auf die Satirezeitschrift überlebt, weil er an jenem Tag, seinem Geburtstag, zu spät auf die Redaktion gekommen war. Im Gespräch mit dem Klein Report erzählt SRF-Literaturredaktor Luisier von einer eindrücklichen Begegnung, die sich der journalistischen Einordnung entzieht.

Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von der Auszeichnung erfahren haben?

Michael Luisier
: «Ich habe mich ausserordentlich gefreut. Ich war im Studio am Arbeiten als dieser Anruf kam. Ich war hinterher dermassen `aus dem Häuschen`, dass an ein konzentriertes Weiterarbeiten erst mal nicht mehr zu denken gewesen ist.»

Sie haben den Preis für ihre Sendung «Katharsis - Über den Umgang mit dem Unfassbaren» über das berührende Gespräch mit dem «Charlie Hebdo»-Zeichner Luz bekommen. Was bedeutet diese Arbeit für Sie ganz persönlich?

Luisier
: «Diese Begegnung mit Luz und die Arbeit an der Sendung war in mancherlei Hinsicht ein ganz spezieller Moment in meinem Radioleben. Ich habe als einziger deutschsprachiger Radiojournalist mit Luz sprechen können. Allein und unter vier Augen. Und eine ganze Stunde lang. Ich habe einen aussergewöhnlichen Menschen mit einem aussergewöhnlichen Schicksal getroffen, der mich hat teilnehmen lassen an seinem Schmerz, an seiner Verzweiflung und an all den Erkenntnissen, die er daraus gezogen hat. Ich habe einem Moment beigewohnt, der sowohl für mich wie für ihn einzigartig war. So was erlebt man nicht alle Tage.»

Und was bedeutet diese Arbeit für Ihr journalistisches Schaffen? Was ist das Einzigartige daran?
Luisier: «Einzigartig ist, dass das im Grunde genommen kein Interview war, sondern ein Monolog. Ein anderer Journalist hätte sich vielleicht geärgert und gesagt, das Interview sei misslungen. Ich habe zum Glück ganz schnell gemerkt, dass sich da einer offenbart. Hab' aufgenommen und nur ganz wenig und sehr vorsichtig nachgefragt. Es war wie auf einer Theaterprobe, wo’s endlich klappt. Da hält man als Regisseur am besten den Mund und lässt zu, was passiert. Auf diese Art und Weise bin ich zu Material gekommen, die keiner vor und keiner nach mir von Luz erhalten hat. Die Frage ist dann aber, was man mit dem Material macht und wie man verantwortungsvoll damit umgeht.»

Wie sind Sie bei der Nachbearbeitung des Interviews genau vorgegangen? Wie fanden oder erfanden Sie für das Gesprächsmaterial die Form dieses speziellen Monologs, die nun ausgezeichnet worden ist?
Michael Luisier: «Der Monolog war da. Entscheidend war es, das zu erkennen und zu akzeptieren. Luz‘ Sprache ist so stark, dass man daran nichts machen darf. Der Punkt war aber, diese Sprache ins Deutsche zu übertragen, ohne sie zu zerstören. Darum habe ich wörtlich übersetzt. Und nicht bloss vom Sinn her. Mit jeder Wiederholung und mit jedem ‚äh’. Danach habe ich einen Schauspieler engagiert, der diesen Text wie einen Monolog einspricht. Was ich dann erfunden oder für mich gefunden habe, ist eine Art Overvoicing, das zwei Monologe gleichzeitig zeigt. Ein Monolog, der dem anderen hilft, und umgekehrt. Und das Ganze trotzdem gleichzeitig. Daran habe ich Nächte lang gearbeitet. Das muss man entwickeln. Satz für Satz. Dieses System habe ich in anderthalb Jahre zuvor für mich entdeckt und in dieser Sendung weiterentwickelt. Aber das geht nur mit einem brillanten Übersetzer und einem grossartigen Schauspieler wie mit Vincent Leittersdorf

Welchen Nachklang, welche Fragen oder Gewissheiten hinterliess das Gespräch mit Luz bei Ihnen? Was faszinierte oder irritierte Sie an ihm?

Luisier
: «Eine ganz schwierige Frage. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der einen solchen Schock mit sich rumträgt. Sicher habe ich das auch unterschätzt. Ich wollte ja tatsächlich mit ihm über Satire reden oder über die Entwicklung Frankreichs nach dem Attentat! Geblieben sind mir zwei Dinge. Erstens, dass ich das Gefühl hatte, dass der Nihilist Luz acht Monate nach dem Anschlag für sich erkannt hat, dass das höchste Gut des Menschen die Liebe ist. Und zweitens der Moment, in dem er mir erzählt hat, dass seine Frau schwanger ist. Und zwar, nachdem er das in seinem Buch vorweg genommen hat. Ein grossartigeres Bild für das Leben, das über den Tod triumphiert, gibt es wohl kaum.»

Das Attentat auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» erschütterte die westliche Medienwelt. Wenn Sie der Auszeichnung des Monologs von Luz eine medienpolitische Bedeutung zumessen wollten, in welche Richtung würde diese weisen?
Luisier
: «Ich weiss nicht, ob diese Auszeichnung eine medienpolitische Bedeutung hat. Ich habe immer das Thema ‚Meinungsfreiheit’ behandelt. Das hat persönliche Gründe, die in meiner eigenen Geschichte liegen. Und die Sendung über Luz ist eine unter mehreren. Ich glaube, die Auszeichnung zielt auf den Mut, einen bestimmten Moment nicht journalistisch einzuordnen, sondern zuzulassen. Und auf die Fähigkeit, einen solchen Moment, von denen es nicht viele gibt, erkannt zu haben.»