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Dienstag
26.11.2019

Medien / Publizistik

Laeri: «In unseren Sendungen liegt der Männeranteil gemäss Stichproben bei 60 bis 94 Prozent. Als ich das gesehen hatte, war ich schockiert.»

Laeri: «In unseren Sendungen liegt der Männeranteil gemäss Stichproben bei 60 bis 94 Prozent. Als ich das gesehen hatte, war ich schockiert.»

Patrizia Laeri ist Moderatorin und Wirtschaftsredaktorin beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Sie leitet das interne Projekt «Chance 50:50», das den Anteil von Frauen in der Berichterstattung erhöhen will.

Im Interview mit dem Klein Report spricht sie über die Rolle der Frauen in der Wirtschaft, Gleichstellung im Journalismus und die Auswirkungen des Frauenstreiks.

Sie haben gesagt, dass Sie als Wirtschaftsjournalistin in einem «männlich dominierten» Feld arbeiten. Können Sie kurz erklären, was Sie damit meinen?
Patrizia Laeri: «Das hat schon angefangen, als ich mich mit Ökonomie für ein männlich dominiertes Studium entschieden habe. Damals waren nur etwa 20 Prozent der Studierenden Frauen und in meiner achtköpfigen Lerngruppe war ich die einzige Frau. Geändert hat sich daran leider wenig. In der Wirtschaftswelt sehe ich momentan sogar eher einen Backslash.»

Einen Backslash?
Laeri: «Ja, zwischendurch habe ich gedacht, dass Frauen jetzt aufholen. Der Frauenanteil stieg vor allem in den Kommunikations- und Marketingabteilungen der Unternehmen. Aber an den Konferenzen trifft man wieder vermehrt Männer an, auch männliche Wirtschaftsjournalisten sind nach wie vor in der Mehrzahl. Und nur ein Prozent der CEOs in der Schweiz sind weiblich. Frauen sind in der Wirtschaft vernichtend einflusslos. Ich empfinde das als sehr unnatürlich, Wirtschaft geht ja alle Menschen was an.»

Wie ist die Situation an Ihrem Arbeitsplatz?
Laeri: «In der Wirtschaftsredaktion haben wir weniger Frauen als Männer. Aber wir bemühen uns, junge Frauen anzusprechen und zu fördern. Bei den Praktikumsstellen haben wir mittlerweile mehr Frauen als Männer.»

Seit dem schweizweiten Frauenstreik im Juni ist fast ein halbes Jahr vergangen. Was hat sich seither im Journalismus getan?
Patrizia Laeri: «Die vergangene Frauenwahl war legendär und extrem bewegend. Viele Stimmen wurden endlich gehört. Man konnte kommunikativ zeigen, dass die Rahmenbedingungen für Gleichstellung in der Schweiz fehlen. Zudem wurde der Journalismus offener. Besonders gut sieht man das zum Beispiel beim `Blick`, der unter anderem dank Digital-Chefredaktorin Katia Murmann viel mehr über Frauenthemen berichtet. Vorher war die Zeitung sehr männlich dominiert.»

Und beim SRF?
Laeri: «Beim SRF ist nochmals sehr viel durch die `BBC 50:50 Initiative` in Gang gekommen. In unseren Berichten diskutieren wir mehr mit Expertinnen und tauschen uns darüber aus. Wir suchen nach neuen und frischen Stimmen, die die Vielfalt der Schweiz abbilden. Das ist ja auch unser Leistungsauftrag. Da setzen wir jetzt noch mehr Gewicht darauf.»

Angenommen Sie könnten entscheiden, welche Massnahmen für die Stärkung der Frauen im Journalismus umgesetzt werden: Was würden Sie tun?
Laeri: «Also ich bin ja ein Fan von Datenanalysen. Wir müssten zuerst alle verfügbaren Daten sammeln und erfassen. Wie viele Männer und Frauen haben wir in der Berichterstattung? Wie viele Expertinnen, wie viele Experten, und so weiter. Das ist für mich der Ausgangspunkt für die Gleichstellung. Wir müssen zuerst wissen, wovon wir reden.»

Diese Datenanalyse haben Sie beim SRF ja gemacht. Wie steht es dort um die Gleichstellung?
Patrizia Laeri: «In unseren Sendungen liegt der Männeranteil gemäss Stichproben bei 60 bis 94 Prozent. Als ich das gesehen hatte, war ich schockiert. Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm ist, obwohl ich wusste, dass unsere Berichterstattung nicht die ausgewogenste ist. Aber es ist eben leider auch bei uns so, obwohl wir sehr sensibilisiert sind für diese Themen.»

Braucht es also Quoten?
Laeri: «Nein. Aber es braucht freiwillige Zielsetzungen, die begleitet werden müssen. Gleichstellung im Journalismus ist ein fortlaufender Prozess.»

Sie setzen sich auch ausserhalb des SRF für Gleichstellung ein, zum Beispiel bei der Organisation Medienfrauen Schweiz. Was kann man im nächsten Jahr von Ihnen erwarten?
Laeri: «Meine persönliche Mission ist klar: Ich will junge Frauen für den Wirtschaftsjournalismus begeistern. Und ich will zeigen, dass eine andere Art der Berichterstattung möglich ist. Daneben wollen wir in den Organisationen strategische Ziele setzen und verfolgen.»