Roger Schawinski hat mit «Anuschka und Finn» einen veritablen Thriller geschrieben, meint Regula Stämpfli in ihrem Kommentar für den Klein Report. Anders als dies der Autor und dessen Rezensenten behaupten, ist «Anuschka und Finn» jedoch kein «MeToo»-Werk, sondern eine Schlüsselreportage über den Zürcher Medienfilz.
Roger Schawinski rast durch den grössten Medienskandal der neusten Zeit und gibt ein Sittengemälde ab, das selbst ihn erschüttert. Das Personal der Reportage gibt sich in unterschiedlichsten Medienposten die Klinke in die Hand und zeigt auf, wie verdammt kleingeistig, geldgierig und inkompetent viele journalistische Akteure im Zürcher Medienkuchen sind.
Es geht bei «Anuschka und Finn» um Filz, Gerüchte, offene Rechnungen, Korruption, verpasste Aufstiegschancen, Männerkumpanei, Geldgier und noble Anwaltskanzleien. Anders als beim «Boys Club» im Axel Springer-Verlag, der auch mit einem Buch, diesmal in Romanform, verewigt wurde, spielt in Zürich Sex absolut keine Rolle. Typisch schweizerisch geht es um Geld, Einfluss und noch mehr Geld.
Beginnen wir mit der Hauptperson: Anuschka Roshani. Diese ist nicht einfach Ex-Starjournalistin des «Magazins», sondern «Verlegergattin». Ihr Ehemann, Peter Haag, leitet den Verlag Kein & Aber, dessen Starautoren vom «Magazin» sowie dem «Tages-Anzeiger» stammen: Mikael Krogerus, langjähriger «Magazin»-Journalist und pikanterweise der Partner der radikalsten Trans- und Genderaktivistin in der Schweiz; Constantin Seibt, ehemaliger «Tages-Anzeiger»-Journalist, jetzt bei der «Republik»; Ursula von Arx, ehemalige «Magazin»-Journalistin; Güzin Kar, ehemalige «Tages-Anzeiger»-Kolumnistin; Nina Kunz, «Magazin»-Journalistin; Max Küng vom «Tages-Anzeiger»; Simone Meier, ehemalige «Tages-Anzeiger»-Journalistin, jetzt Watson, oder Milena Moser, ehemalige «Tages-Anzeiger»-Kolumnistin.
Alle sind sie bei Kein & Aber aufgeführt. Angesichts dieser engen Verknüpfung zwischen Medien und Verlag stellt sich mit Roger Schawinski tatsächlich die Frage, ob hier der Grund liegen könnte, weshalb alle Medien sofort auf den Zug Anuschka Roshani gesprungen sind, als diese in ihrer Einleitung zum «Ich auch»-Text Finn Canonica in die Nähe von Harvey Weinstein brachte.
Auch ausserhalb des TX-Konzerns sind prominente journalistische Stimmen bei Kein & Aber unter Vertrag: Richard Reich, Martin Meyer und René Scheu beispielsweise. Mitten in den Skandal hinein lud SRF am 7. März ausgerechnet Anuschka Roshani zum «Literaturclub» ein. Die Begründung, diese sei als Autorin schon lange vorher eingeladen gewesen, liess jedes Stirnrunzeln schon im Ansatz für verboten erklären. Guter Stil und Verpflichtung von SRF zur fairen und ausgewogenen Berichterstattung sieht anders aus.
Im Schawinski-Kapitel «Omertà» meint der Radiopionier denn auch, in diesem engen Verlags- und Medienkuchen die einhellige Verurteilung von Finn Canonica zu verorten. Anständigerweise legt Schawinski denn auch seine eigene Geschichte mit dem Verlag Kein & Aber offen: ein Ausflug in die Verlegerbranche, die ihn 1,8 Millionen ärmer gemacht hat. Daraus machen nun viele Rezensenten eine Schawinski-Vendetta-Story, die dem Buch nicht gerecht wird.
Eine weitere Personalie im Haifischbecken von Aufstieg, Neid und Rache ist auch Mathias Ninck, ehemals beim «Magazin» und Kommunikationsberater in der Zürcher Stadtverwaltung. Er fungiert bei Schawinski unter «ruraler Background» mit übler Vergangenheit im Kapitel «Der Informant». 2009 schrieb laut Schawinski der heutige Kommunikationsexperte Ninck eine Geschichte über einen mehrfachen Vergewaltiger, gegen dessen Verwahrung sich Ninck ins Zeug gelegt hatte. Im Zuge des darauffolgenden publizistischen Drucks erhielt der Verwahrte offenen Vollzug und vergewaltigte sein 23. Opfer. Roger Schawinskis Buch ist lauter solch schockierender Stories über bis heute einflussreiche Journalisten. Dies verursacht bei allen Lesenden grosses Unbehagen: Kann angesichts dieses Personals und Medienpolitik überhaupt noch vertraut werden?
«Anuschka und Finn» birgt Mediensprengstoff wie die Relotius-Affäre des «Spiegels». Das Buch liest sich wie ein brillant geschriebener Thriller. Was «Anuschka und Finn» aber definitiv nicht ist: Ein «MeToo»-Buch.
Es ist traurig, dass der begnadete Schnellschreiber Roger Schawinski die Affäre benutzt, um «MeToo» zu desavouieren, ausgerechnet die Bewegung, die den entrechteten Frauen in den letzten Jahren endlich eine Stimme verliehen hat. Es ist auch völlig unnötig und falsch, dass Roger Schawinski allen Frauen in Chefposten unterstellt, «überschätzt» zu sein.
Aber verwerflich ist auch Anuschka Roshanis Artikel. Sie hat ihre Story rund um schäbige Bemerkungen, grobe Redaktionskulturen und schwache Charaktere mit ihrem Einstieg zum Film «She said» (Film zur Enthüllungsstory rund um Harvey Weinstein) gefährlich nahe an die Opfer von sexueller Gewalt im «MeToo»-Movement hochstilisiert.
Wer Frauen, die «MeToo»-Erfahrungen machen mussten, berät, weiss, dass Machtspiele in der Redaktion etwas anderes sind als sexuelle Gewalt, sexueller Missbrauch und sexuelle Nötigung aufgrund von Machtverhältnissen. «MeToo»-Frauen haben nach diesem Erlebnis meist keine Chance, jahrelang ein gutes Einkommen in einem der angesehensten Magazine zu generieren. Die Verbrechen von Harvey Weinstein und dessen Schweigekartell im Film «She said» zeigt ja gerade, dass Opfer bis heute keine Selbstermächtigung erleben; sie leiden unter gebrochenen Berufsbiographien sowie massiven Angststörungen.
Roshani behauptet nun in der «Süddeutschen Zeitung», sie hätte Finn Canonica nie in die Nähe von Harvey Weinstein gerückt, sondern habe sich durch den Film «She said», den sie als Einstieg in ihrem «Ich auch» dramatisch skizziert, nur «selbstermächtigt» gefühlt.
Sollten sich Roger Schawinskis Nachforschungen als hieb- und stichfest herausstellen, wovon im Moment ausgegangen werden kann, dann hat Anuschka Roshani mit ihrem «Spiegel»-Artikel der «MeToo»-Bewegung massiv geschadet. Denn schon jetzt misstrauen Gerichte, Anwälte und Journalisten Frauen, wenn sie über sexuelle Übergriffe, sexuelle Gewalt und Missbrauch eines Vorgesetzten, eines Kollegen oder des eigenen Partners berichten. Christina Mundlos hat mit ihrem Buch «Mütter klagen an» für ganz Deutschland aufgezeigt, dass Medien und Gerichte Frauen, die sich und ihre Kinder vor ihrem Partner schützen wollen, kaum geglaubt wird.
Deshalb ist es doppelt bitter, wenn Roger Schawinski einen Medienskandal aufdeckt, die Gründe für diesen aber bei den «feministischen Aktivistinnen» ortet und nicht in der Schweizer Politik, deren Kleinräumigkeit, Beziehungsfilz und Spiessigkeit inklusive langer Geschichte der Geschlechterapartheid – was die Verweigerung des allgemeinen Wahl- und Stimmrechts bis 1971 de iure und de facto bedeutete – bis heute den medialen, finanziellen und politischen Einfluss aller Frauen beschränkt.
Die «Süddeutsche Zeitung» meinte, die Affäre um Anuschka Roshani und Finn Canonica, den Roger Schawinski mitfühlend als Second Generation der Holocaust-Überlebenden zeichnet, schade allen Beteiligten.
Die bittere Wahrheit wird wohl sein: Die Affäre und der damit zusammenhängende Medienskandal schadet wieder mal nur einer Gruppe: all den Frauen, die sich für die Gestaltung und Macht unserer Demokratien einsetzen, ohne dass sie von Charakterschweinen, gleich welchen Geschlechts, ständig an diesem Recht, Rechte zu haben, gehindert werden.…