Nicht weniger als 30 Artikel von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» beanstandete der ehemalige Direktor der Herzchirurgie am Zürcher Unispital, Francesco Maisano, vor dem Presserat. Auf den Vorwurf einer Medienkampagne ging das Gremium gar nicht erst ein. Nur in einem Punkt bekam Maisano recht.
Von Mai bis Oktober 2020 publizierten «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» über 30 Artikel im Zusammenhang mit dem damaligen Chef-Herzchirurgen Francesco Maisano. Dabei ging es um Vorwürfe, die unter anderem auf Aussagen eines Whistleblowers zurückgehen.
Demnach sollen Patienten nicht genügend über Risiken informiert und das Patientenwohl gefährdet worden sein. Ein anderer Vorwurf lautete, Maisano habe gegenüber Swissmedic falsche Aussagen gemacht.
Zu den Aussagen des Whistleblowers hatte das Universitätsspital einen Untersuchungsbericht bei der Anwaltskanzlei Walder und Wyss in Auftrag gegeben.
In einer umfangreichen Beschwerdeschrift warf Francesco Maisano dem «Tages-Anzeiger» und der «SonntagsZeitung» vor, sie hätten gegen ihn eine «einseitige, unfaire und ehrverletzende Medienkampagne» geführt. Darauf stieg der Presserat nicht ein. «Viele der Artikel lagen ausserhalb der dreimonatigen Beschwerdefrist.»
Von all den vielen Artikeln nahm das Aufsichtsgremium schliesslich nur deren zwei unter die Lupe.
Dabei wies der Presserat die meisten Beschwerdepunkte zurück: Weder sei die Wahrheitspflicht verletzt, noch seien Informationen unterschlagen worden. «Die Journalistinnen und Journalisten hatten die zum Zeitpunkt der Publikation zur Verfügung stehenden Fakten, Recherchen und Untersuchungsergebnisse korrekt wiedergegeben», steht in der am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme.
Nur in einem Fall stellte er sich hinter Francesco Maisano: beim Kommentar «Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September 2020.
Darin hatte der «Tages-Anzeiger» die bekannten Vorwürfe gegen den Herzchirurgen nochmals ausgepackt: «Er verschwieg schwerwiegende Komplikationen bei Eingriffen mit Implantaten», «er klärte die Kranken ungenügend über Risiken auf», «in Patientendokumentationen herrschte ein Chaos». Maisano bezeichnete diese Aussagen gegenüber dem Presserat als falsch.
Dass diese Vorwürfe ursprünglich aus dem Untersuchungsbericht stammten, wurde im Kommentar «nicht unmittelbar» klar, schreibt der Presserat. «Bei genauem Lesen kann dieser Bezug aber hergestellt werden. Es handelt sich also um eine handwerkliche Ungenauigkeit, nicht aber um einen Fehler», so das Gremium.
Doch hätte der «Tagi» beim Wiederholen der schweren Vorwürfe nicht auch nochmals den Kritisierten anhören sollen?
Laut Journalistenkodex kann auf eine Anhörung ausnahmsweise verzichtet werden, «wenn ein Vorwurf und die zugehörige Stellungnahme bereits früher öffentlich gemacht worden sind. Zusammen mit dem Vorwurf ist die frühere Stellungnahme wiederzugeben».
Auf konkrete Fragen der Redaktion hat Maisano zwar nicht reagiert. Trotzdem war seine Meinung dazu aus anderen Veröffentlichungen bekannt. Der «Tages-Anzeiger» hat diese auch selber immer wieder veröffentlicht.
In dem umstrittenen Kommentar hätte der «Tagi» zumindest schreiben müssen, dass Maisano die Vorwürfe vehement zurückweist. In diesem Punkt hat die Zeitung gegen den Berufskodex verstossen.