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Freitag
29.10.2021

Medien / Publizistik

Im Jahrbuch Qualität der Medien fehlen kritische Google-, Facebook und digitale Töne, die über die normale Medienwandels-These sowie Werbegelder hinausgehen...   (© Uni Zürich)

Im Jahrbuch Qualität der Medien fehlen kritische Google-, Facebook und digitale Töne, die über die normale Medienwandels-These sowie Werbegelder hinausgehen... (© Uni Zürich)

Das «Jahrbuch Qualität der Medien» – der Klein Report berichtete – hält fest: Einerseits sei die Desinformation gestiegen, andererseits verfüge die schweizerische Medienlandschaft über hohe Resilienz.

Gleichzeitig plädiert Mark Eisenegger, Leiter des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, vehement für eine «direkte Medienförderung». Eisenegger ist seit 2020 Co-Direktor und Studienprogrammdirektor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) der Universität Zürich.

Für den Klein Report kommentiert eine erstaunte Politphilosophin Regula Stämpfli den Wandel des «Jahrbuchs Qualität der Medien».

Kurt Imhof war einer der schärfsten Kollegen punkto Medienkritik. 2011 brillierte er in der «Krise der Öffentlichkeit». Dort widmet er sich unter anderem medialen Gesetzmässigkeiten, die den Themen Aufmerksamkeit bringen, aber gleichzeitig an Informationsrelevanz einbüssen.

Sein «Jahrbuch Qualität der Medien» ein Jahr später war ein einziger, kluger Verriss der Medienkonzentration, der Verflachung der Information und des Verlustes der inneren Pressefreiheit (Redaktionsfreiheit) in den schweizerischen Medien. Ich titelte über den Bericht von Kurt Imhof damals: «Tamedistan und helvetischer Réduitjournalismus» (news.ch vom 31. Oktober 2012).

2012 gab es wegen der scharfen Medienkritik Imhofs - ausser der NZZ - keine Sendungen, Podien, Tagesgespräche et cetera zu seiner scharfen Analyse der schwindenden Qualität der Medien.

Fast zehn Jahre später ist alles anders. Das «Jahrbuch Qualität der Medien» für 2021 von Mark Eisenegger und Daniel Vogler wird von allen Medien gefeiert, als hätten sie grad alle Journalistenpreise abgeräumt. Dieses Jahr berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), das im Jahrbuch punkto Qualität im Rating exzellent abschneidet, so flächendeckend, dass es schon «cringe» war.

SRF-TV-Chefredaktor Tristan Brenn und andere SRF-Angestellte kopierten stolz die Statistik aus dem Jahrbuch: ein emsiges «Share» guter Informationen, wissenschaftlich abgesegnet. Die Informationen im Jahrbuch 2021 sind ja auch erfreulich: Alles ist besser geworden. Sogar das Gratisblatt «20 Minuten» zeigt punkto Boulevardisierung keine Abwärtsspirale mehr.

Echt jetzt? Gucken wir mal qualitativ hin: 2020 und 2021 verdrängten Covid 19 und nochmals Covid 19, inklusive Covid-Leugner, Impfkampagne ja oder nein, Sternchen oder nicht, alle anderen, für die Demokratie ebenso oder viel relevanteren Themen.

Die politische Hauptstadt Bern verfügt seit 2021 über keine eigenen Medien mehr. Am 19. Oktober stieg deshalb das Crowdfunding für ein neues, lokales Onlineportal für den Grossraum Bern. Es nennt sich «Der Neue Berner Journalismus» mit dem Heading «Hauptstadt». Ein Zeichen dafür, wie schlecht es um die wirklichkeitsnahe, lokal verankerte und politische Berichterstattung des politischen Herzens der Schweiz steht.

Weiter ist 2021 festzuhalten, dass immer mehr publiziert wird, während immer weniger Themen rezipiert werden und sich die Schlagzeilen überall, auch über die Grenzen hinweg, gleichen. «Digitale Tagelöhner» dominieren Online-Medien und können gar nicht anders als «Hier bin ich» schreien.

Reiche Unternehmer kaufen sich ihre eigenen Meinungen, etwas, was Trump vor seiner Wahl jahrelang vorexerzierte. Journalismus wird selten finanziert, dafür wird umso mehr Public Relations platziert und publiziert.

Die innere Pressefreiheit (Redaktionsfreiheit) in den grossen Verlagen hat einen schweren Stand: Einzig der offene Brief der 78 Journalistinnen gegen den Zürcher Medienkonzern Tamedia war eine Ausnahme.

Dieser Brief ist aber ebenso versandet wie andere wichtige Medienthemen: Auch das Schweizer Radio und Fernsehen nimmt MediaToo oder MeToo nur auf, wenn es um ausländische Fälle geht.

Der strukturelle Medien-Sexismus, bei allen ernstzunehmenden Stiftungen längst ein Thema (siehe Malisa-Stiftung), ist im «Jahrbuch Qualität der Medien» kaum Thema.

2021 wurde auch klar, dass sich die Information entlang politischer Polarisierung völlig zersetzt: Im Fall Spiess-Hegglin steht eine unversöhnliche Journaille gegenüber - Medienqualität und faire Berichterstattung sähen völlig anders aus.

Ebenso fehlen im «Jahrbuch Qualität der Medien» kritische Google-, Facebook- und digitale Töne, die über die normale Medienwandels-These sowie Werbegelder hinausgehen. Dabei hat die Otto Brenner Stiftung schon vor einem Jahr den Takt vorgegeben, wie kritische Berichterstattung gegen die Giganten aus dem Silicon Valley zu gewährleisten sei, wie der Klein Report ausführlich berichtete.

Dies sind die wirklich relevanten Themen für das Jahr 2021. Doch was bleibt in den Schlagzeilen zum «Jahrbuch Qualität der Medien»? Richtig. Die Werbung für direkt finanzierten Journalismus: «In der Schweiz», so der Leiter des Jahrbuchs Mark Eisenegger, sei «die Akzeptanz für Medienförderung relativ hoch» (Anmerkung, gemäss fög: 37 Prozent dafür, 37 Prozent dagegen, der Rest ist unentschieden).

Und weiter: «Es zeichnet sich ab, dass qualitativ hochwertiger Journalismus nur durch direkte Medienförderung finanzierbar ist» (Zitat Mark Eisenegger). Ein Schelm, wer sich Böses dabei denkt.

Angesichts der sich selber zelebrierenden Medienqualität der hiesigen Medien 2021 sowie der gleichzeitigen Hetzkampagnen entlang einer links-rechts Polarisierung, die demokratisch relevante Themen aussen vor lässt, stellen wir fest: Kurt Imhof fehlt – und dies sehr schmerzlich.

Weitere Informationen der Redaktion Klein Report zum Jahrbuch: Es wird durch die gemeinnützige Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität und durch die Uni Zürich finanziert. Im Stiftungsrat sitzen: Christoph Degen, Christine Egerszegi-Obrist, Mark Eisenegger, Barbara Käch, Yves Kugelmann, Ulrich E. Gut, Christina Leutwyler, Maude Rivière und Nenad Stojanović.

Gefördert wurde das Projekt von: Alliance F/Stiftung Mercator Schweiz, Avenira Stiftung, Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), «Bote der Urschweiz», ch-intercultur, CH Media, Die Schweizerische Post AG, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR), Ernst Göhner Stiftung, Fondazione per il Corriere del Ticino, Gottfried und Ursula Schäppi-Jecklin Stiftung, Migros Kulturprozent, NZZ, Paul Schiller Stiftung, Ringier AG, Somedia AG, SRG SSR, Swisscom, Swisslife Stiftung Perspektiven, Verband Medien mit Zukunft, Zürcher Kantonalbank und verschiedene Einzelpersonen.