Content:

Samstag
22.06.2024

Marketing / PR

Sind Kommentare «offensichtlich sachfremd» und werden sie wiederholt gepostet, dürfen sie unterdrückt werden: Instagram-Profil des Bundesrates... (Bild: Screenshot)

Sind Kommentare «offensichtlich sachfremd» und werden sie wiederholt gepostet, dürfen sie unterdrückt werden: Instagram-Profil des Bundesrates... (Bild: Screenshot)

Der Bundesrat hat Kriterien definiert für die Moderation der Social-Media-Accounts der Bundesbehörden. Eine Gefahr, dass durch Kommentar-Löschungen die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden könnte, sieht die Bundeskanzlei nicht.

Bisher gab es keine gesonderte gesetzliche Regelung, die den Umgang der Bundesbehörden mit sozialen Medien und mit Kommentaren in den sozialen Medien regelt.

«Die neuen Artikel in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV) sollen zu einer einheitlichen Praxis aller Verwaltungseinheiten führen und sicherstellen, dass möglichst wenige Eingriffe in die Meinungsäusserungsfreiheit getätigt werden», sagte Urs Bruderer, Stv. Leiter der Kommunikation der Bundeskanzlei, am Freitag gegenüber dem Klein Report.

«Darum umgrenzen die neuen Artikel 23a – 23c der RVOV die Kommentare, die gelöscht werden können, mit einer abschliessenden Liste», so Bruderer weiter.

Unter den Lösch-Kriterien finden sich auch Desinformation und fehlender Themenbezug. Doch was heisst das genau? Könnte in der Auslegung dieser beiden Kriterien nicht ein Graubereich entstehen, der es den Beamten ermöglichen würde, auch unliebsame, weil kritische Kommentare zum Verschwinden zu bringen?

Darauf angesprochen, ob es sich dabei nicht um einen Gummiparagrafen handle, sagte Urs Bruderer zum Klein Report: «Den Vorwurf des Gummiparagrafen weisen wir zurück.» Und weiter: «Gemäss Artikel 23c, Absatz 1, Buchstabe b RVOV dürfen Kommentare nur gelöscht werden, wenn sie offensichtlich sachfremd sind und wiederholt angebracht werden. Beide Kriterien müssen erfüllt sein. Die Bedingung der Offensichtlichkeit und der Wiederholung grenzen die Anwendbarkeit stark ein und stehen willkürlichen Löschungen entgegen.»

Auch falsche Kommentare dürften nur gelöscht werden, wenn sie offensichtlich falsch seien und wenn sie wiederholt angebracht würden und wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie der Desinformation dienen.

Hier müssen demnach also sogar drei Bedingungen erfüllt sein. Ein Kommentar darf zum Beispiel nicht gelöscht werden, nur weil er offensichtlich falsch ist.

Bei der «Desinformation», die in der revidierten RVOV nicht näher definiert wird, handelt es sich laut Bundeskanzlei um «irreführende oder vollständig erfundene Meldungen, die genutzt werden, um politische Prozesse zu beeinflussen oder zu sabotieren». 

So steht es im sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrates. Ähnlich, aber nicht identisch, wird es in dem am Mittwoch publizierten Bericht «Beeinflussungsaktivitäten und Desinformation» definiert, ebenfalls vom Bundesrat. Dort ist der Begriff weiter gefasst, unter anderem wird auch die «Unterminierung der Glaubwürdigkeit von Institutionen und Medien» als Kriterium genannt.

Ein prägnantes Beispiel von Desinformation sei die Fake-Kampagne im September 2022 gewesen, so Bruderer, wonach auch der Bund die Bevölkerung aufgerufen habe, Nachbarn zu denunzieren, die ihre Wohnung über 19 Grad heizten. Spuren führten damals nach Russland.

Ein Blick in die Vernehmlassungsantworten zu den neuen Lösch-Kriterien zeigt, dass besonders die Regelung, wonach Kommentare mit «kommerzieller Werbung» von den Behörden unterdrückt werden können, umstritten war.

Die FDP wollte dieses Kriterium ersatzlos streichen. Die Plattformen der Bundesverwaltung müssten «nicht nur neutral informieren, sondern sie sollen der Diskussion unter den Nutzerinnen und Nutzern dienen», heisst es in dem Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens vom 19. Juni. Werbebeiträge könnten dabei nützlich sein. Zudem könnte es zu Auslegungsproblemen kommen.

Der Kanton Bern meinte dazu, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit den betroffenen Grundrechten – also mit der Meinungsäusserungs- und der Wirtschaftsfreiheit – «zwingend» sei, speziell mit Blick auf die politische Werbung.

Und weiter meinen die Berner: «Die Kriterien für die Unterdrückung politischer Äusserungen oder Botschaften müssen so klar wie möglich definiert werden, um eine sachgerechte Praxis zu ermöglichen, ohne dass es zu unzulässigen Grundrechtseingriffen kommt.»

Zurück zu den am Mittwoch vom Bundesrat verabschiedeten Lösch-Kriterien: Diese gehen zurück auf die «Strategie soziale Medien», die der Bundesrat im Mai 2021 auf den Weg gebracht hat. Damit wollte er die Kommunikation der Bundesbehörden auf den sozialen Plattformen ausbauen und gleichzeitig einheitlicher gestalten. Unter anderem wurde in der Bundeskanzlei damals ein «audiovisuelles Zentrum» eingerichtet. Und der Bundesrat bekam ein Profil auf Instagram, wie der Klein Report berichtete.

Das Strategiepapier hielt auch fest, dass es «grundsätzliche Fragen aufwirft», wenn die Behörden per Dialog, Interaktion und Kommentar in den sozialen Medien unterwegs seien. Es brauche daher Richtlinien, «die sich am Ziel der Behördenkommunikation orientieren» und zu einer «sachlichen und respektvollen öffentlichen Debatte» beitragen.