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Montag
06.02.2017

Medien / Publizistik

Unreflektierte oder sogar beleidigende Kommentare auf Zeitungswebsites sind leider keine Seltenheit. Gleichzeitig ist der Wunsch vieler Leserinnen und Leser nach einem Meinungsaustausch im Internet so stark wie kaum zuvor. Kritische Diskussionen finden heute nicht mehr am Stammtisch, sondern im Internet statt.

Vor diesem zwiespältigen Hintergrund hat die «Neue Zürcher Zeitung» entschieden, ihre Kommentarspalte am nächsten Mittwoch «bei den meisten Artikeln» von ihrer Website zu nehmen. An die Stelle ungefilterter Kommentare sollen «betreute Leserdebatten» und eine «konstruktive Diskussionskultur» treten, begründete Oliver Fuchs, Social-Media-Redaktor der NZZ, die Massnahme in einem Artikel, den er in eigener Sache verfasst hat.

«Die Stimmung ist gehässiger geworden», so Fuchs in seinem Beitrag mit dem Titel «Warum wir unsere Kommentarspalte umbauen». Stellvertretend für die Aussage zitiert er aus einem Leserkommentar, der Transsexualität unter anderem als «Abart des modernen Menschen» bezeichnet. Es sind solche pauschale, sich jeder Diskussion entziehende Beiträge, die das Fass bei der NZZ zum Überlaufen gebracht haben.

Als Betreiberin der Website entscheide die NZZ, welche Kommentare veröffentlicht werden. «Da sie auf Nachrichtenseiten - also dem Hoheitsgebiet von Redaktionen - placiert sind, besteht ein implizites Machtgefälle.» Die NZZ sehe sich in der Verantwortung, gewissenhaft mit diesem Machtgefälle umzugehen.

An die Stelle der klassischen Kommentarfunktion tritt deshalb ein neues Community-Konzept: Täglich definiert und betreut der Newsroom ab Mittwoch künftig drei Fragen zu aktuellen Leserdebatten, ähnlich wie in einem Forum. Einmal pro Woche erhalten Leserinnen und Leser zudem die Möglichkeit, mit den Autoren der Artikel selber eine Debatte zu führen.

«Wir werden künftig versuchen, der Debatte mit einer konkreten Frage eine Richtung vorzugeben», schreibt Fuchs. Vorbei sind die Zeiten des ungelenkten Meinungsaustauschs, sowohl im positiven, wie auch im negativen. Das manchmal hässliche Bild der Gesellschaft, das Leserkommentare jeweils aufzeigten, soll künftig übermalt werden.

Dementsprechend gemischt fallen die Reaktionen der Leserinnen und Leser zur einschneidenden Massnahme der NZZ aus. Während die Abschaffung der bisherigen Kommentarfunktion teilweise auf Verständnis trifft, vermuten andere Personen wiederum eine Zensur jener Meinungen, die mit dem «eigenen Bild der Welt kollidieren».

«Wenn man die Kommentare in Relation zum Artikel liest, weiss man oft erst, wie die Bevölkerung wirklich darüber denkt. Dieser Realitätsabgleich fehlt dann eben, und es wird einseitig», kommentiert etwa ein NZZ-Leser. Ein anderer Nutzer schreibt: «Wir sind (wieder mal) im Zeitalter, wo Eliten meinen, sie hätten die Wahrheit für sich gepachtet und müssten den gemeinen Pöbel führen.»