Im Restaurant Certo in Zürich ist am Montagabend der «Goldene Bremsklotz» des Vereins Investigativ.ch verliehen worden. Die «Ehre» geht an Anne Lévy.
Aus zahlreichen Vorschlägen von Journalistinnen und Journalisten hat der Vorstand des Vereins schliesslich die Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wegen den geschwärzten Impfstoffverträgen auf die Shortlist gesetzt.
Auch im Rennen war Franz Immer von Swisstransplant wegen seinem Umgang mit einem Datenschutzleck beim Organspenderegister. Als Dritter war der Schaffhauser Regierungsrat Walter Vogelsanger wegen der Diskreditierung von Recherchen rund um einen Missstand in einem Schaffhauser Heim nominiert.
Zur Gewinnerin heisst es: Dass die Öffentlichkeit in schwierigen Pandemie-Zeiten exakte Informationen braucht, um den Behörden zu vertrauen, sollte in einem demokratischen Staat wie der Schweiz eine Selbstverständlichkeit sein. Das Bundesamt für Gesundheit setzte aber auf das Gegenteil: Während der Coronapandemie ging es fahrig mit dem Öffentlichkeitsgesetz um, schwärzte in den zögerlich herausgegebenen Dokumenten lieber zu viel als zu wenig und orientierte sich nicht an einer vom Öffentlichkeitsbeauftragten und von Gerichten formulierten, guten Umsetzungspraxis.
Marc Meschenmoser, Co-Präsident des Vereins Investigativ.ch, «lobte» in seiner Laudatio am Montagabend, dass sich Anne Lévy beim Amtsantritt 2020 zum Ziel gesetzt habe, die Qualität des Gesundheitswesens hoch und «bezahlbar» zu halten, wie der Klein Report im Restaurant Certo notierte.
Anne Lévys Start mit den Investigativjournalistinnen und Investigativjournalisten war dann «zugegebenermassen kein einfacher», so Meschenmoser in seiner Laudatio. Anfang Oktober 2020, genau in dieser heiklen Phase der Pandemie, wurde der Zugang bei den Pressekonferenzen eingeschränkt: auf eine Journalistin oder einen Journalisten pro Medium.
Bei der Frage zu den Impfkosten habe Investigativ.ch-Mitglied Petar Marjanovic auf Watson.ch aufgezeigt, dass Anne Lévy eine Vereinbarung mit dem Pharmakonzern Moderna unterschrieben habe, in der sie vertraglich zusicherte, dass ihr Bundesamt «die Offenlegung dieser vertraulichen Informationen einschränken oder verhindern muss.»
Anne Lévy habe damit versucht, «das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung vertraglich auszuhebeln».
Doch leider seien intransparente Corona-Impfstoff-Verträge mit geschwärzten Passagen keine Ausnahme.
Zahlreiche besorgte Eltern gelangten während der Coronapandemie an die Medien mit der Frage: Wie steht es um die Luftqualität in den Schweizer Schulen? Das Bundesamt für Gesundheit veranlasste dazu eine Untersuchung bei 100 Schulen. Aber es dauerte neun Monate, bis die juristische Abteilung die Resultate zur Veröffentlichung freigab. Weil das BAG den Schulen bei der Untersuchung Anonymität versprochen habe. «Öffentliche Schulen», betonte Marc Meschenmoser in seiner Laudatio zum Gebaren der BAG-Sieger-Truppe.
Erst, als der eidgenössische Öffentlichkeitsbeauftragte Lévys Amt dazu aufforderte, die Daten bekannt zu geben, rückte dieses die Luftmessungen heraus.
Weiter ging es um geheime Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie. Die Informationsverweigerung dauert immer noch an. Investigativjournalistinnen, die Transparenz schaffen wollen, ziehen den Fall jetzt vor das Bundesverwaltungsgericht.
Anne Lévy konnte den goldenen Bremsklotz wegen ihrer «dichten Agenda» nicht persönlich entgegennehmen. Auch an ihrem Amtssitz in Bern hat sie dazu keine Zeit gefunden.
Im Namen der 350 Investigativen bedankte sich der Präsident des Vereins und sagte, wenn Anne Lévy ohne diesen Bremsklotze dafür in Zukunft auch einmal ein bisschen aufs Gas drücken wolle – «wenn es um Transparenz, die Geschäftsinteressen der grossen Pharmafirmen und politisch heikle Dossiers geht».
In Bern brachte Marc Meschenmoser dann den goldenen Bremsklotz für Anne Levy selber ins Bundesamt für Gesundheit, was in einem amüsanten Video dokumentiert ist.
Nach dem Anlass gab es beim geselligen Zusammensein noch einiges zu diskutieren. Meschenmoser, der seit 2020 bei der Konsumenteninfo AG als Co-Redaktionsleiter des «K-Tipps» und «Saldo» beschäftigt ist und als Investigativjournalist das Rechercheteam von «K-Tipp», «Saldo» und «K-Geld» leitet, hatte gemeinsam mit Eva Hirschi, Geschäftsführerin von investigativ.ch, zum Apéro im Certo geladen.