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Montag
18.05.2020

Medien / Publizistik

Stefan Betschon über die «Meta-Tag»-Kolumnen: «Sie sind ein Plädoyer für eine digitale Aufklärung, sie möchten die User ermuntern, informationelle Selbstbestimmung zu wagen.»     (Foto zVg.)

Stefan Betschon über die «Meta-Tag»-Kolumnen: «Sie sind ein Plädoyer für eine digitale Aufklärung, sie möchten die User ermuntern, informationelle Selbstbestimmung zu wagen.» (Foto zVg.)

Redaktor Stefan Betschon (60) verlässt die «Neue Zürcher Zeitung» per Ende August.

Betschon, der seit vielen Jahren über das Thema Informatik für die Zeitung schreibt, werde «als freier Journalist, als Autor und als selbständiger Berater weiterhin im ICT-Umfeld tätig sein», wie er im Gespräch mit dem Klein Report sagt.

«Eigentlich wollte ich zwischen dem alten und dem neuen Leben Ferien machen, aber so, wie es jetzt aussieht, bei den aktuell sehr eingeschränkten Möglichkeiten zu reisen, werde ich wohl die freie Zeit zu Hause mit Web-Programmierung verbringen.»

An der Zürcher Falkenstrasse startete er am 1. Januar 1998. Chefredaktor war zu der Zeit Hugo Bütler. Betschon hatte an der Uni Zürich Geschichte studiert.

Eingestellt wurde er bei der NZZ für die wöchentliche Beilage «Medien und Informatik», die er gemeinsam mit NZZ-Redaktor Rainer Stadler betreute. Inhaltlich stand vor allem das Thema Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) im Vordergrund.

Sein erster NZZ-Artikel erschien am 9. Januar 1998. «Unter dem Titel ,Die Grimassen des Interface' beschrieb ich Versuche, die Benutzeroberfläche der Computer im Zeichen des World Wide Web neu zu erfinden», erzählt er. «Einer meiner jüngsten NZZ-Artikel ist wiederum den globalen Datennetzen gewidmet: 'Wie das Internet in der Corona-Krise neu erfunden wird'. Dazwischen habe ich in der NZZ mehrere Tausend Texte publiziert. Und auch ein paar Bücher geschrieben», resümiert er.

«Rückblickend scheint mir, als habe 'Die Grimassen des Interface' vieles von dem vorweggenommen, was später kam. Einmal – vielleicht – das iPhone-Interface, das ohne Fenster, Mauszeiger und Menüs auskommt. Dann aber – vor allem –auch eine bestimmte technikjournalistische Herangehensweise, die zu ihrem Gegenstand stets eine kritische Distanz wahrt», erläutert Stefan Betschon seine journalistische Einstellung. «Es ist ein Technikjournalismus, der sich zuerst für Menschen und erst dann für die Maschinen interessiert.»

Diese Haltung präge auch sein jüngstes Buch, in dem es um Künstliche Intelligenz (KI) geht. Es erschien letzten Herbst in der Schriftenreihe der Vontobel-Stiftung. «Es ist die erklärte Absicht dieses Buchs, die Diskussion um die KI zu versachlichen», fügt Betschon an.

In seinen Anfängen als Technikjournalist, in den frühen 1990er-Jahren, habe er sich als Techie oft verteidigen müssen. Denn viele Menschen sahen in den Computern eine Bedrohung. «Zu meiner eigenen Überraschung fand ich mich als Technikjournalist nach der Jahrtausendwende dann oft in der Situation wieder, in der ich vor einer naiven Technik-Euphorie glaubte, warnen zu müssen.»

Betschon störte sich daran, dass um die Technik nun ein fast schon religiöser Kult getrieben wurde und dass der Gang der Technik als unumkehrbarer Fortschritt verklärt wurde.

Das Schöne am Technikjournalismus sei aber, dass er sich nicht mit Technik zufrieden geben muss. «Technik bestimmt alle Aspekte unserer gegenwärtigen Welt, deshalb kann sich ein Technikjournalist mit allem Möglichen beschäftigen», sagt er - zum Beispiel mit den amerikanischen Präsidentschaftswahlen.

«Mein Buch über Social Media – 'Die Soziologie der Einsamkeit: In den Echokammern des Internets' (Vontobel) – entdeckt im Wahlsieg von Donald Trump eine medienhistorische Auffälligkeit», erklärt Betschon. «Nach der Wahl mussten die Macher der Mainstream-Medien überrascht zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit der Wähler in einer Medienrealität zu Hause ist, auf die sie keinen Einfluss haben.»

Hier werde die Berichterstattung durch Algorithmen bestimmt. Stefan Betschon: «Nicht die Fake News sind das beunruhigend Neue, sondern die Tatsache, dass bei diesem Wahlkampf die Fake News automatisiert im industriellen Massstab produziert wurden.»

Von 2007 bis 2017 schrieb er unter der Rubrik «Meta-Tag» dann eine wöchentliche Kolumne «über Technik und den ganzen Rest», wie Betschon sagt. «In dieser Zeit gab es im Internet einen fundamentalen Wandel zu beobachten, es ist die Entwicklung vom Web 2.0 zum Web X, von der 'Weisheit der Massen' zur 'Kultur des Hasses'».

In diesen zehn Jahren habe er knapp 400 Kolumnen geschrieben. 111 ausgewählte Kolumnen wurden 2017 bei NZZ Libro als Buch herausgebracht. Diese Texte seien für die Tagesaktualität geschrieben worden, «aber sie bleiben nicht dem Tag verhaftet», sagt der Journalist. «Sie versuchen die grösseren Zusammenhänge in den Blick zu nehmen und längerfristig wirksame Trends sichtbar zu machen.»

Die «Meta-Tag»-Kolumnen beschäftigen sich mit den verschiedensten Aspekten der Informatik. «Aber sie haben nur ein einziges Anliegen: Sie sind ein Plädoyer für eine digitale Aufklärung, sie möchten die User ermuntern, informationelle Selbstbestimmung zu wagen», fasst Stefan Betschon sein Anliegen zusammen.