Seit 2017 berichtet Henriette Engbersen als SRF-Korrespondentin über Grossbritannien und Irland. Im nächsten Frühling ist Schluss: Engbersen kehrt von London nach Zürich zurück, in welcher Position ist derzeit noch offen.
Im Interview mit dem Klein Report blickt sie auf turbulente Brexit-Tage zurück, spricht über eine aufregende Begegnung mit Premierminister Boris Johnson und erklärt, weshalb es schwierig ist, als Schweizer Journalistin ein Interview mit britischen Politikerinnen und Politiker zu erhalten.
Bis zu Ihrer Rückkehr in die Schweiz im Frühling 2022 haben Sie fünf Jahre in London verbracht. Was ist ganz grundsätzlich Ihr berufliches Fazit für diese Zeit?
Henriette Engbersen: «Es war eine unglaublich intensive und schöne Zeit. Politik, Wirtschaft, gesellschaftliche Fragen, Sport und Kultur – London bietet die ganze Palette. Brexit hat natürlich meinen Alltag über mehrere Jahre bestimmt. An turbulenten Tagen fing ich etwa mit einem ‚10vor10‘-Kulturbeitrag an und plötzlich, nachdem Breaking News zum Brexit eintrafen, krempelte ich alles um und der Abend endete mit drei Live-Schaltungen für drei Sendungen.»
Und weiter?
Engbersen: «Ich habe viel über mich selbst gelernt und weiss heute, dass ich aufblühe, wenn sich die Nachrichten überschlagen. Und ich habe meine Grenzen kennengelernt, beim Biertrinken kann ich auch nach fast fünf Jahren nicht mit den Briten und Britinnen mithalten – gut so.»
Gab es einen herausragenden Höhepunkt für Sie?
Engbersen: «Boris Johnson musste meinetwegen um ein Haar evakuiert werden, weil die Security dachte, mein Velo-Akku könnte eine Bombe sein. Aber das zählt wohl nicht als Highlight. Eigentlich reihte sich ein Höhepunkt an den anderen, fast wie in einem Stück von Shakespeare: Da war das politische Drama rund um den Brexit, der Abgang von Theresa May, der Aufstieg von Boris Johnson. Im Königshaus die Hochzeit von Harry und Meghan, gefolgt von ihrem Exit. Und wenn das nicht schon genug wäre, ist da ja auch noch Julian Assange, für die einen der Erzfeind, für die anderen ein Held.»
Welche politische Figur aus Grossbritannien und Irland hat Sie in den letzten Jahren als Journalistin am meisten beeindruckt?
Engbersen: «Ehrlich gesagt haben mich während der Brexit-Krise viele politische Figuren eher enttäuscht. Den Britinnen und Briten wurden fortlaufend eine goldige Zukunft versprochen. Pragmatische Worte fehlten. In Nordirland sieht die Realität heute anders aus. Deshalb nenne ich lieber Jean, eine unscheinbare, aber starke Grossmutter. Sie hat ihre Tochter an Drogen verloren und erzieht jetzt ihre drei Enkel ganz alleine. Mit wenig Geld, aber mit viel Liebe und Geduld. Die Armut im Land hat mich entsetzt. Jene die sich, wie Jean, in den schwierigen Umständen durchkämpfen, haben mich beeindruckt.»
Wie empfanden Sie die Arbeitsbedingungen als Schweizerin in London? Und wie war es diesbezüglich als Medienschaffende?
Engbersen: «Die Schweiz ist ein kleines Land, aber wir geniessen viel Sympathie im Ausland. Gerade während der Brexit-Krise war es schwierig ein Interview von Politiker und Politikerinnen zu erhalten. Die meisten wollten lieber den grossen deutschen oder französischen Sendern ein Interview geben, weil das auch in Brüssel wahrgenommen wurde. Es braucht also ein gutes Netzwerk und Überzeugungsarbeit. Da musste ich hartnäckig dranbleiben und nicht selten half auch, dass ein Interviewpartner schöne Erinnerungen an die letzten Ferien in der Schweiz hatte.»
Wie hat der Brexit Ihr Leben als Ausländerin in Grossbritannien verändert?
Engbersen: «Es hat mein Leben nicht beeinflusst, denn ich war schon vor der Umsetzung des Brexit im Land und hatte entsprechend keine Mühe, mich zu registrieren.»
Früher waren Sie als «Springerin» Sonder-Korrespondentin im Ausland. Nun arbeiten Sie seit 2017 festangestellt in London. Was für Unterschiede machen Sie im Vergleich zu Ihren Sonder-Einsätzen aus?
Engbersen: «Als Sonder-Korrespondentin war ich Teil der ‚Tagesschau‘-Redaktion. Als Auslandkorrespondentin ist man auf sich selbst gestellt. Ich bin also in London meine eigene Chefin und habe zudem sieben Tage die Woche Pikettdienst. Breaking News nehmen leider keine Rücksicht auf mögliche Freitage. Deshalb ist es ein sehr intensiver, aber auch unglaublich spannender Job.»
Welche Tipps geben Sie einem zukünftigen Korrespondenten oder Reporter auf den Weg?
Engbersen: «So oft wie möglich zu reisen, um die verschiedenen Regionen, Menschen und ihre Lebenseinstellungen besser kennenzulernen. Sich vom britischen Humor anstecken zu lassen, kann auch nicht schaden.»
Aus welchen Gründen kehren Sie genau aus London zurück?
Engbersen: «Ich werde im Frühling auf fünf spannende Jahre zurückblicken können. Korrespondentenjobs bei SRF dauern in der Regel vier bis sechs Jahre. Ich bin ein neugieriger Mensch und freue mich jetzt auf eine neue Herausforderung. Zudem ist es schön, wieder näher bei Familie, Freundinnen und Freunden in der Schweiz zu sein.»
Wer wird für Sie die Nachfolge in London übernehmen?
Engbersen: «Es ist noch offen, denn die Stelle wurde eben erst ausgeschrieben.»