Die Schweiz wird vor dem EM-Viertelfinal gegen England von den Journalisten in den siebten Himmel gehoben und zum Favoriten befördert. Eine gefährliche Ausgangslage.
Eigentlich ist die Sache vor dem Viertelfinal Schweiz – England am Samstagabend in Düsseldorf sonnenklar: Unsere Nationalmannschaft hat gegen das Fussball-Mutterland seit 1981 nie mehr gewonnen. Punkto Marktwert der Spieler liegen die Schweizer (280 Millionen) Welten hinter den Engländern (1,5 Milliarden). Allein die englischen Superstars Jude Bellingham und Harry Kane sind ungefähr gleich viel Wert wie alle Schweizer zusammen.
Doch das bisherige Turnier hat die Wahrnehmung auf den Kopf gestellt. Die Schweizer sind nach dem Achtelfinal-Sieg gegen Italien euphorisiert, die Engländer lecken sich nach dem Fast-K.o. gegen die Slowakei ihre Wunden.
Stellvertretend dafür tönt es in den hiesigen Medien. Das Newsportal Nau titelt: «England gegen die Schweiz deutlich in Aussenseiterrolle». Die «Aargauer Zeitung» schiebt per Podcast nach: «Eigentlich spricht alles für die Schweiz». Der «Blick» lässt englische Fachleute zu Wort kommen: «Wir sind weit davon entfernt, Favoriten zu sein.» Auf Watson prophezeien englische Ex-Nationalspieler: «Wir werden Mühe haben gegen die Schweizer Dreierkette.» Und wer das Deutschschweizer Radio SRF hört, erhält das Gefühl: Da spielen (Schweizer) Superstars gegen (englische) Junioren.
Die «Neue Zürcher Zeitung», in der Regel für ihre noble Zurückhaltung bekannt, hat immerhin noch ein Fragezeichen gefunden. «Grenzen verschieben sich: Ist die Schweiz im EM-Viertelfinal gegen England plötzlich Favorit?»
Auch sonst hat sich das Bild in den vergangenen drei Wochen verschoben. Gary Lineker, Ex-Goalgetter und als BBC-Experte quasi der Bernhard Russi des englischen Fussballs, sagt demütig: «Die Schweiz ist stark, selbstbewusst und gut organisiert. Ich glaube nicht, dass wir noch die Favoriten sind.»
Auf der anderen Seite gibt sich der Schweizer Innverteidiger Manuel Akanji, im Alltag bei Manchester City unter Vertrag, unschweizerisch selbstbewusst: «Es wäre unglaublich, gegen sie zu gewinnen. Und ich sehe gute Chancen für uns.»
Doch Vorsicht. So viel Optimismus kann lähmend sein – und schweren Druck erzeugen. Dies wissen seit vergangenem Dienstag auch die Sportfreunde aus Österreich. Sie traten mit gewölbter Brust und dem Verständnis des Geheimfavoriten zum Achtelfinal gegen die Türkei an – und wurden unsanft aus den Träumen gerissen.
Die Schweizer tun gut daran, dieses Beispiel als Warnung zu nehmen. Der Boden der Realität ist hart – und er wird noch härter, wenn man von den Medien in den siebten Himmel befördert wird.