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Mittwoch
02.08.2023

Medien / Publizistik

Nathalie Wappler sprach von der Kanzel des Zürcher Grossmünsters viel über sich und wenig über die Herausforderungen der Zeit...   (Bild: Klein Report)

Nathalie Wappler sprach von der Kanzel des Zürcher Grossmünsters viel über sich und wenig über die Herausforderungen der Zeit... (Bild: Klein Report)

Sie ist seit über vier Jahren Direktorin des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF), eine einflussreiche Schweizer Medienfrau, die vielleicht einmal SRG-Chefin wird: Nathalie Wappler.

Doch noch nie hielt sie eine 1.-August-Rede vor einer der 2’100 Gemeinden in der Schweiz. «Eine Premiere», so die SRF-Medienstelle zum Klein Report. Oder, etwas ketzerisch gefragt: Hatte die kühle Medienmanagerin bisher einfach keine Lust, an solchen Veranstaltungen aufzutreten? Nein, versicherte sie dem Klein Report kurz vor ihrer Rede, sie sei tatsächlich noch nie eingeladen worden.

Im Zürcher Grossmünster nahmen Chefredaktorin Ursula Klein und Klein-Report-Mitarbeiter Beni Frenkel auf den Holzbänken Platz und lauschten den Rednerinnen und Rednern.

Der Zeitpunkt von Wapplers Rede fällt sicher nicht ungeschickt. Die Eidgenössische Volksinitiative «200 Franken sind genug» bedroht die SRG. Zwar läuft die Sammelfrist für die Initiative noch bis zum 1. Dezember. Die dafür nötigen 100’000 Unterschriften sollen aber schon erreicht worden sein.

Mit leichter Spannung wurde daher auf den Inhalt der Rede gewartet. Wird die SRF-Direktorin auf die Initiative eingehen? Nicht direkt, das muss man sagen. Mit Leidenschaft verteidigte sie hingegen den Service-public-Auftrag ihrer Anstalt und verwandelte so eine 1.-August-Rede in eine politische Stellungnahme.

Wappler verglich die Schweiz mit Deutschland, wo sie ab 2016 knapp zwei Jahre als Programmdirektorin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) tätig war.

«In meiner Zeit in Ostdeutschland», sprach Wappler von der Kanzel des Grossmünsters herab, «habe ich gesehen, was es bedeutet, wenn es fast keinen ‚Service public‘ mehr gibt.» Dort würde es keinen Bäcker mehr geben und der Bus nur noch zweimal in der Woche durch die Dörfer fahren. Was hat eine Bäckerei mit dem öffentlichen Service public zu tun? Dies fragten sich viele ältere Gäste und Touristen in der bekanntesten Kirche von Zürich.

Ihre Zeit in Ostdeutschland muss schlimm gewesen sein: «Was übrig bleibt, ist allzu oft eine Hoffnungslosigkeit (…).» Schlage man die regionale Versorgung kaputt, so die Fernsehdirektorin, werde diese nie wieder aufgebaut. Dieses sogenannte Nudging bemühte auch die ehemalige SP-Medienministerin Simonetta Sommaruga nach einer Dienstreise 2019 durch Dänemark und Schweden immer wieder: Der Strukturwandel im Mediensektor bringe nichts Gutes. Ganze Landstriche in den skandinavischen Ländern seien bald medial abgehängt, sagte die Politikerin über ein Gebiet, das weltweit technisch führend mit Internetangeboten ist.

Eine sehr ähnliche Entwicklung sieht man eher in Wapplers Sender vollzogen als bei ihrem früheren Arbeitgeber, dem MDR in Leipzig. So verfügte die Schweizer Programmdirektorin vor drei Jahren, dass die regionale Berichterstattung aufgehoben werde, da sie aus Sicht des Senders gemäss einer Medienmitteilung nicht rentiere. Nur noch Nachrichten, die überregional von Interesse sind, schaffen es seitdem in die SRF-News.

Abgeschaut vom MDR hat sie diese Sparmassnahme sicher nicht. Denn dort wird bis in die kleinsten Verästelungen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen berichtet. Neben dem MDR-Fernsehen gibt es allein 12 weitere Hörfunkanstalten.

Doch wie schafft es SRF, den Kontakt mit dem Publikum aufrecht zu erhalten? Eine Frage, die auch Wappler beschäftigt: «Wir als öffentliches Medienhaus ‚losed zue‘ – der Dialog mit der Bevölkerung ist bei uns zentral. Die Erkenntnisse daraus fliessen wieder ins Programm ein.»

Wappler wies auf eine Besonderheit des Schweizerdeutschen hin, das im Hochdeutschen verloren gegangen sei, nämlich die Unterscheidung zwischen aktivem «Zuelose» und passivem «Ghööre».

Dialog? Auch diese Aussage muss kritisch betrachtet werden, zumal Nathalie Wappler selber sehr restriktiv und kontrolliert kommuniziert. Bei SRF gilt sie deshalb als «Wegduckerin», die sich nicht gerne kritischen Fragen stellt.

«Hallo SRF», so heisst die Sendung, in der sich die SRF-Programmverantwortlichen den Fragen der Zuhörer stellten. Eingeführt wurde das Format von Wapplers Vorgänger Ruedi Matter. Wappler selbst bestritt die Sendung das letzte Mal im Januar. Im Januar 2022. Die Frage lautet darum: Wo genau tritt Wappler in den Dialog mit den Zuhörern und Zuschauerinnen?

Und welche Erkenntnisse und Ideen der Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler ins SRF-Programm einfliessen, bleibt unklar. Wappler fremdelt bis heute mit den lokalen Sitten der Schweiz. In ihrer Rede bezeichnet sie sich als eine «Schweizerin mit Migrationshintergrund», denn ihre Eltern stammen aus Deutschland. Geboren sei sie in St. Gallen, aufgewachsen in Kreuzlingen.

Mit 16 habe sie sich entschieden, im nahen Konstanz zur Schule zu gehen und das Abitur zu machen. Sie spreche den für Thurgauer und Thurgauerinnen schönsten Dialekt der Schweiz, sagte sie schmunzelnd, was ihr einen Lacher im Grossmünster einbrachte, in der doch sonst unpolitischen und langweiligen 1.-August-Rede, wie ein älterer Zuschauer bemerkte. «Sie redet nur von sich.»

Zürich sei damals für sie ganz weit weg gewesen. Viel weiter weg als Deutschland, so Wappler. Wenn man an der Grenze aufwachse, sei die Frage des Dazugehörens weniger eine der Nation als eine der Region. In ihrem Geschichtsstudium, vor allem das der mittelalterlichen Geschichte, habe die Region eine besondere Rolle gespielt. Deshalb habe sie sich der Bodenseeregion verbunden gefühlt, schaute sie zurück – dem alemannischen Sprachraum, egal, ob Deutschland, Österreich oder Schweiz.

Man weiss bei Wappler eigentlich bis heute nicht, wohin sie SRF führen möchte. Das Fernsehprogramm von 2023 ist wie das von 2019, mit ein paar Abstrichen. Dient ihr der Job als Direktorin nur als weiterer Karriereschritt zur SRG-Chefin? Die Aufhebung der regionalen News-Desks ist das eine, keine populären und eigenproduzierten Sendungen einzuführen, das andere.

Dass eine Programmdirektorin erst nach vier Jahren zu einer 1.-August-Rede eingeladen wird, spricht Bände. Sportler, Politikerinnen und bekannte Journalisten kennen eher das andere Problem: Sie werden von mehreren Gemeinden gebucht und hetzen von Festanlass zu Festanlass.
Zu viel Gewicht sollte man der Rede nicht beimessen. Doch wenn Wappler den Versuch starten wollte, den Abstimmungskampf einzuleiten, so ist sie damit gescheitert.

Die Rede, die sie im vollen Zürcher Grossmünster hielt, enttäuschte viele Zuhörerinnen. Der Klein Report sprach mit mehreren Anwesenden. Das Urteil fiel einstimmig aus: Plattitüden, billige Lacher, keine richtige 1.-August-Rede. Wappler sprach mehr über sich, wo sie aufgewachsen war, wie sie in Deutschland und in der Schweiz wahrgenommen werde und welche Schulen sie besucht hat.

Kein Bezug zum Krieg in der Ukraine. Wappler ging nicht darauf ein, welche Herausforderungen die Schweizer Haushalte treffen und welche noch auf uns zukommen.

Man muss es leider so ausdrücken: Das war nicht in Ansätzen eine Rede für das herausfordernde Jahr 2023. Sie sprach der Schweiz keinen Mut zu, sondern forderte dazu auf, den Service public der SRG zu unterstützen.

Dass sie keine geborene Rednerin ist, darf ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Und niemand erwartete von ihr eine Churchill-Rede.

Gleichzeitig kann man es den Anwesenden nicht verübeln, dass sie enttäuscht das Grossmünster verliessen. Immerhin: Den Schweizerpsalm, der im Anschluss an ihre Rede gemeinsam gesungen wurde, beherrschte sie auswendig.