Die Kulturzeitschrift «ensuite» hat einen kräftezehrenden Überlebenskampf hinter sich, der auch im Jahr 2017, im 15. Jahrgang, seine Spuren hinterlassen hat. Versprechungen wurden nicht eingehalten und kritische Berichte führten kurzerhand zum Finanzhilfe- und Werbeentzug. Anstatt «ensuite» zu unterstützen, gründeten Gemeinderäte lieber kurzerhand ihre eigenen Projekte.
Dass es «ensuite» nun seit 14 Jahren gelungen ist, zu überleben, bezeichnet Verlagsleiter und Chefredaktor Lukas Vogelsang als «kleine Sensation»: «Überleben trifft es schon auf den Kopf», sagt er dem Klein Report. Die abenteuerliche Geschichte eines mehrjährigen Abnützungskampfes, die er zu erzählen hat, liest sich wie die Wahrwerdung eines Buches von Ernest Hemingway.
Mit der Idee, ein Kulturmagazin zu bauen, bei dem es «um Inhalt, nicht um Geld» geht, wurde «ensuite» im Jahr 2002 als Antwort auf die grossen Medienhäuser und deren Absage an die Kultur gegründet. «Das Problem ist, dass der Kulturmedienmarkt von den Tagesmedien ausgehöhlt und zerstört wurde. Ich spiele damit auf diese Pseudo-Kulturbeilagen an, wie das `Z` bei der NZZ oder wie sie alle heissen», sagt Vogelsang.
Vogelsangs Gedanke war es, «ensuite» wie das Betriebssystem Linux aufzubauen, also «open source», mit vielen vereinten Kräften. «Bis heute funktionieren wir so», sagt er dem Klein Report. Dazu gehört auch, dass die persönliche Meinung der etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine wichtige Rolle einnimmt.
Gemeinsame Redaktionssitzungen gibt es nicht und die Redaktoren und Redaktorinnen bringen ihre Themen «ganz nach ihrem Erspüren» mit ein. «Die persönliche Meinung ist im Kulturjournalismus ein zentrales Element. Das hatten wir schon damals verstanden», sagt Vogelsang und spricht den Start der Zeitschrift an, noch bevor es Facebook oder Social Media gab.
Das Projekt «ensuite» gestaltete sich jedoch in der Folge vor allem finanziell schwierig, weil eine Förderung durch den Kanton weitgehend fehlte. «Wir haben in den 15 Jahren insgesamt ungefähr 185 000 Franken von öffentlichen Ämtern erhalten. Allerdings weder als Startfinanzierung noch mit einem Leistungsauftrag verbunden, was ich mir eigentlich gewünscht hätte», erklärt Lukas Vogelsang. Stattdessen mussten immer wieder Einzelgesuche, teils für eigenständige Projekte, eingereicht werden.
Vom Kanton Bern erhielt «ensuite» in acht Jahren insgesamt 98 000 Franken. «Der damalige Leiter vom Amt für Kultur hatte ein halbes Ohr für uns. Seine spätere Nachfolgerin `vergass` dann allerdings den Sinn der Sache und sah nur noch Paragraphen», blickt Vogelsang zurück. Endlose Sitzungen und zig Eingabe später sagte diese dann trotzdem ab und gab stattdessen Geld für eine neue Website, «für die wir nie ein Gesuch eingegeben, aber schon produziert hatten».
Seit 2007 hatte «ensuite» neben der Berner auch eine Zürcher Ausgabe, doch die Situation war auch in der Limmatstadt nicht besser. «Ich hatte ein informelles Gespräch mit Jean-Pierre Hoby, der sich interessiert zeigte und sich melden wollte - allerdings genau einen Monat später gab er im Gemeinderat ein eigenes Projekt ein. Mir hatte er nichts davon erzählt», wundert sich der Verlagsleiter.
Das gleiche Schicksal ereilte Vogelsang in Bern, wo «ensuite» ebenfalls vom damaligen Kultursekretär konkurrenziert wurde, der lieber sei eigenes Kulturblatt produzieren wollte. Vogelsangs ernüchterndes Fazit: «Die Städte, wenn sie denn was machen, geben sehr viel Geld aus für ihre eigenen Publikationen.»
Und so ziehen sich immer mehr professionelle Medienbetriebe zurück und überlassen das Feld der Kulturmedien den Ämtern, wie Vogelsang erklärt. «Mit den Behörden geht es nie um die Sache an sich. Es geht immer um Macht, Verantwortlichkeiten, Ängste, Kompetenzen - aber nie um Kulturmedien oder Dienstleistungen.»
Dass es «ensuite» nun bald 15 Jahre als unabhängige Zeitschrift gibt, ist nicht selbstverständlich, da der Druck von allen Seiten sehr gross geworden ist. «Uns wurde vom Kanton versprochen, dass wir jährlich etwas Geld kriegen würden - allerdings haben wir zum Beispiel einmal einen polemischen Artikel über das Berner Stadttheater publiziert und darauf kürzte uns der Amtsvorsteher den jährlichen Zustupf um 50 Prozent mit der Begründung, dass er ja im Verwaltungsrat des Theaters sitze. Eine Züricher Grossveranstalterin war allerdings noch schlimmer: Sie zog einen Werbeauftrag zurück, nachdem wir nach Zürich expandierten und das kostete uns zum Auftakt 50 000 Franken. Am Schlimmsten war natürlich die Stadt Bern, die uns kopierte, die publizistische Oberhand behalten und uns schlicht aus dem Markt drängen wollte.»
Dafür erhielt «ensuite» unerwartete, wenn auch ungewollte Hilfe von Ringier: Das Medienunternehmen trennte sich im Februar letztes Jahr für Vogelsang überraschend von seinen Kultur-Titeln «Monopol» und «Cicero», was wiederum «ensuite» in die Hände spielte. «Nach der Medienmittelung klingelte bei uns bereits am nächsten Tag das Telefon und Werbeagenturen aus England, Deutschland, Italien und Österreich nahmen mit uns Kontakt auf», freut sich Lukas Vogelsang.
So hat das Kulturmagazin, «dem man eigentlich kein Wachstum prognostiziert hat», unterdessen eine höhere Auflage als das «DU» oder das «Kunstbulletin». Die Werbeeinnahmen konnten gemäss Vogelsang «ruhig und gleichmässig» gehalten werden mit den Highlights, dass Hermès Schweiz oder Volvo unterdessen beim «ensuite» einstiegen. Mit Tamedia wird zudem eine Medienpartnerschaft gepflegt.
«Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren um einiges wachsen werden. Allerdings ist natürlich klar, dass dies finanziell für uns noch immer nicht interessant ist. Aber eben: Was ist wichtiger? Das Geld oder das inhaltliche Magazin? Ich will Zweiteres, das ist mein Beruf», so Vogelsang abschliessend zum Klein Report.