Kann der heutige Mensch in der Wildnis überleben wie einst der Steinzeitmensch Ötzi? Oder hat ihn die Evolution längst zu wohlstandsverweichlichten «Warmduschern» degeneriert, die ohne Errungenschaften der Zivilisation schlicht verloren sind?
«Einstein» wollte es wissen und schickte den Moderator Tobias Müller ohne Ausrüstung tief in die dunklen Wälder des Juras – und staunte: Das grösste Problem des «Einstein»-Moderators war nicht etwa Hunger und Durst, sondern die Langeweile.
Der Klein Report hat mit Tobias Müller über sein Experiment in der Wildnis des Juras gesprochen.
Für das Experiment mussten Sie 24 Stunden ohne Handy, ohne Navi-Gerät, ohne Essen und Trinken auskommen. Was hat Sie zu dieser ungewöhnlichen Aktion bewogen?
Tobias Müller: «Wir leben in einer Zeit der ständigen Reizüberflutung. Beispiel Smartphone. Eine freie Minute und schon zückt man das Smartphone. Ich pendle und stelle immer wieder fest, dass die meisten (mich eingeschlossen) am Handy oder Laptop hängen. Kaum jemand schaut noch zum Fenster raus oder sitzt einfach da. Deshalb wollten wir herausfinden, wie ich reagiere, wenn ich 24 Stunden auf all diese Gadgets, auf den gewohnten Alltag, verzichten muss. Von der Reizüberflutung zur totalen Entschleunigung.»
Dafür haben Sie sich die Wildnis des Juras ausgesucht. Wie schwer waren die ersten Stunden im Wald?
Müller: «Ganz schön. Ich bin sozusagen im Wald aufgewachsen. Mein Vater besitzt einen eigenen Wald und so habe ich als Kind jede freie Minute im Gehölz verbracht. Und deshalb habe ich mich auf das aussergewöhnliche Experiment auch sehr gefreut, bin dann aber an Grenzen gestossen, die ich nicht erwartet hätte.»
Ein paar Stunden im Wald zu verbringen ist aber etwas anderes als 24 Stunden ohne Smartphone, ein Buch oder eine Zeitung, oder?
Müller: «Absolut. Eigentlich freute ich mich auf die Einsamkeit ohne Ablenkungen der Zivilisation. Ich ging davon aus, dass mich Hunger und Durst am meisten an die Grenzen bringen würden. Aber nichts dergleichen. Mein grösstes Problem war die Langeweile, die Zeit vergeht nicht. Man wünscht sich Beschäftigung. Jemanden zum Reden, ein Buch, einen Fernseher. Ich erinnere mich noch an einen Moment gegen Abend, es war gefühlt 19.30 Uhr. Da dachte ich: ‚Wie schön wäre es jetzt, einfach halbe Stunde lang Franz Fischlin bei der Tagesschau zuzuhören.»
Was haben Sie versucht, um dagegen anzukämpfen?
Müller: «Ich habe versucht, mein Bett zu bauen. Gemütlich mit Moos und hübschem Laubdach. Was mir auch gelungen ist, aber es gab halt immer wieder auch Rückschläge. Nachdem es am Vortag geregnet hatte, war alles noch nass. Ans Feuer machen ohne Hilfsmittel war nicht zu denken – zumindest für einen Survival-Newbie wie mich nicht. Und irgendwann geht – ohne Essen – die Energie aus. Zudem durfte ich mich nur in einem Umkreis von 50 Metern bewegen. Also kam irgendwann die Langeweile. Dasitzen und merken, dass die Zeit nicht vergeht. Klingt entspannt, wird aber schnell zum Stress, weil wir uns das schlicht nicht gewohnt sind. Ich wurde immer rastloser und habe mich dabei ertappt, wie ich – ähnlich der Stereotypie eines Tigers im Käfig – die längste Zeit nur hin und her gelaufen bin.»
Hatten Sie wenigstens Wetterglück?
Müller: «Am Tag selber schon. Aber der Regen vom Vortag hat mir das Feuer ziemlich verunmöglicht. Und mein selbstgezimmertes Moosbett entpuppte sich nach dem ersten Probeliegen ebenfalls als feuchte Angelegenheit.»
Hört sich alles ziemlich schwierig an. Was war schlimmer, der Tag oder die Nacht in der Wildnis?
Müller: «Definitiv der Tag, der wollte irgendwie nicht enden. Die Nacht war gefühlt viel schneller vorbei, obwohl ich gefroren habe und mich die Mücken geplagt haben. Ausserdem habe ich mir etliche Zeckenbisse eingefangen.»
Gut war das Experiment nach 24 Stunden vorbei. Welches Fazit ziehen Sie?
Müller: «Es war spannend, mich selber in dieser Situation zu erleben und auch immer wieder zu reflektieren, an was es liegen könnte. Und jetzt, nachdem ich die ganze Sendung bereits im Vorschnitt gesehen habe, samt Erklärungen der Wissenschaftler, ist mir nochmals einiges klarer geworden. Summa summarum eine eindrückliche Erfahrung. Und wer jetzt denkt: ‚Ach was! Das wär doch keine Sache!’ Selber ausprobieren! Einsame Wälder hat es in der Schweiz ja genug. Hätte mir im Vorfeld jemand gesagt, wie sehr einen Langeweile stressen kann, ich hätte ihn wohl ausgelacht.»
Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr in die Zivilisation als erstes gemacht?
Müller: «Einen Berg fettiges Fast Food genossen und zwar lange und ausgiebig.»