Redaktionen seien Zweiklassengesellschaften, proklamierte Kurt W. Zimmermann in der «Weltwoche» vom 20. November: «Neunzig Prozent der Belegschaft arbeiten brav ihre Stunden ab. Zehn Prozent aber flanieren. Sie haben die Bohème in die heutige Zeit hinübergerettet. Die zehn Prozent nennt man die Edelfedern.»
Den Protest gegen die hohe Arbeitsbelastung der «Tages Anzeiger»-Redaktion zum Anlass nehmend, führte Zimmermann eine quantitative Analyse des Outputs der Edelfedern des «Tages Anzeigers» durch. Er stellte fest, dass diese in den von ihm untersuchten zwei Monaten nur fünf bis zwölf Artikel geliefert haben. «Auch wenn wir grosszügig rechnen, dann sind manche unserer Edelfedern maximal ein, zwei Wochen pro Monat beschäftigt. Sonst sitzt die Luxusklasse im Kaffeehaus oder sonst wo», zog er sein Fazit.
«Mich nähme schon wunder, wie ein Medienkolumnist, der immer wieder die mangelhaften Recherchen der Kolleginnen und Kollegen verurteilt, sich weder über die Absenzen noch über Stellenprozente informierte, bevor er seine Liste erstellte», sagte Jean-Martin Büttner, der auf der Liste Zimmermanns vertreten ist, dem Klein Report.
Er listet Gründe auf weshalb die Vorwürfe Zimmermanns seiner Meinung nach unzutreffend sind. Er sei in den ausgewählten Monaten während drei Wochen absent gewesen. Er habe in dieser Zeit in den Ferien geweilt und am MAZ doziert. Ausserdem lese er viel in der sogenannten Freizeit, das er später für seine Arbeit verwende, ergänzte der beim «Tages Anzeiger» zu 90 Prozent angestellte Büttner.
Auch Hugo Stamm ärgert sich über die Vorwürfe Zimmermanns. Er sei nur zu 40 Prozent beim Tagi angestellt, betreibe ausserdem einen Blog und unterhalte ein Archiv mit gegen 1000 sektenähnlichen Gruppierungen, die er beobachten müsse, und sei so 365 Tage im Jahr beschäftigt. Er gehöre damit keinesfalls zur Bohéme, die in Cafés rumsitze.
Büttner fühlt sich durch die Bezeichnung als Edelfeder gar nicht geehrt: «Schon den Begriff Edelfeder finde ich deplaziert», erklärt er. «Er impliziert die Vorstellung, dass es unedel ist, Dienst zu tun oder Nachrichtenjournalismus zu betreiben.»
Es gebe Reporter, die für die Analyse zuständig seien und andere Ressorts beliefern. Hintergründe zu schreiben, könne viel aufwendiger sein, als die Publikationsrate glauben machen lasse, erklärte er weiter.
Hugo Stamm ergänzt, dass diese Kolleginnen und Kollegen vielleicht etwas stärker auffallen würden, doch keine Privilegien oder Sonderstatus genössen. «Die Mitglieder des Analyse- und Hintergrundressorts sind freier in der Themenwahl und weniger oft in den Redaktionsdienst eingespannt. Dafür ist der Druck gross, regelmässig gute Geschichten zu liefern.»
Doch nicht nur die fehlende Arbeitsleistung der Edelfedern stiess bei Kurt W. Zimmermann auf Unverständnis. Er äusserte sich kritisch über den Protest der «Tages Anzeiger»-Redaktion über die immer höher werdende Arbeitsbelastung. Diese sei heute vergleichbar mit der Arbeitzeit von Anwälten oder Ärzten.