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Donnerstag
11.06.2020

Medien / Publizistik

«Beobachter»-Redaktorin Tina Berg: «Auf der Redaktion kam die Idee grundsätzlich gut an, anfängliche Skepsis wich engagierter Teilnahme. Die Diskussionen bleiben aber kontrovers...» (Bild © Beobachter).

«Beobachter»-Redaktorin Tina Berg: «Auf der Redaktion kam die Idee grundsätzlich gut an, anfängliche Skepsis wich engagierter Teilnahme. Die Diskussionen bleiben aber kontrovers...» (Bild © Beobachter).

Auf Initiative einer Redaktorin begann die «Beobachter»-Redaktion nach dem Frauenstreik 2019, die eigenen Inhalte nach Frauen- und Männeranteilen auszuzählen. Die Bilanz nach einem Jahr: 38 Prozent der in Artikeln erwähnten Personen sind weiblich.

«Wir haben vor einem Jahr mit dem Auszählen begonnen, nach dem Frauenstreik und noch vor dem Equal-Voice-Projekt von Ringier und Ringier Axel Springer Schweiz, das im November startete», sagte der «Beobachter»-Redaktor Yves Demuth am Dienstag gegenüber dem Klein Report.

Der Anstoss kam von seiner Kollegin Tina Berg: «Auf der Redaktion kam die Idee grundsätzlich gut an - anfängliche Skepsis wich engagierter Teilnahme», sagte die Online-Redaktorin gegenüber dem Klein Report weiter. «Nach dem ersten halben Jahr Umsetzung meldeten sich bedeutend mehr Kolleginnen und Kollegen, um freiwillig bei der Auszählung mitzumachen. Die Diskussionen bleiben aber kontrovers.» 

Der Frauenanteil bei den vom «Beobachter» Interviewten liegt gemäss der Auszählung zurzeit bei 40 Prozent, leicht über den 38 Prozent der in Artikeln erwähnten Personen. Auf den Bildern und Illustrationen sind in knapp der Hälfte der Fälle Frauen zu sehen.

Yves Demuth und Tina Berg bezeichnen die Bilanz im aktuellen «Beobachter» als «durchzogen». In der Schweizer Medienlandschaft schneidet das Magazin von Ringier Axel Springer Schweiz überdurchschnittlich ab - zumindest, wenn man die letzte grossflächige Erhebung heranzieht, die schon fünf Jahre alt ist: Im Schweizer Zusatzbericht zum Global Media Monitoring Project von 2015 waren nur 24 Prozent der in Presse, TV und Radio erwähnten Personen weiblich.

Die aktuellen Zahlen hätten auf der Redaktion Fragen aufgeworfen, so Yves Demuth und Tina Berg weiter. «Berücksichtigen wir Frauen zu wenig? Oder bilden wir bloss die Realität ab, die in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft weiterhin von Männern dominiert wird?» 

Vielleicht treffe auch beides zu. Doch Frauenquote für Inhalte gebe es auf jeden Fall keine. «Für jeden Artikel wird das Personal gewählt, das am besten passt.»

Dass alleine schon das Auszählen von Frauen- und Männeranteilen etwas bewirkt, hatte BBC-Moderator Ros Atkins vorgemacht. 2017 verhängte er ein Gender-Monitoring über seine eigene Sendung. Der Frauenanteil schnellte an, ohne Quote. Daraufhin startete die BBC im Frühling ihre «50:50»-Initiative, die unter anderem auch von Ringier und SRF imitiert wurde, wie der Klein Report berichtete.

Die Initiative bei Ringier heisst «Equal Voice». Auch Ringier Axel Springer Schweiz ist daran beteiligt. Seit November 2019 zählt ein Algorithmus für jede Redaktion aus, wie oft Frauen und Männer in den Online-Artikeln genannt werden. 

Beim Verlag habe man mit der redaktionseigenen Auszählung, die schon ein halbes Jahr davor gestartet war, «offene Türen eingerannt», erinnert sich Tina Berg. Anders als bei «Equal Voice» werden auf der Redaktion die «Beobachter»-Artikel aber von Hand ausgezählt. Dies, «um besser unterscheiden zu können, welche Protagonisten und Experten frei gewählt werden können und welche nicht.» Das Zweierteam, das alle Print- und Online-Artikel auszählt, wechsle jeden Monat.

«Bei einzelnen Rubriken waren wir überrascht, wie wenig Frauen oder Männer darin vorkommen», so Yves Demuth weiter gegenüber dem Klein Report. Von den kommentierenden «Standpunkten» wurde nur einer von vier von einer Frau verfasst. Der Frauenanteil in der Lob-Rubrik «Courage» lag bei 20 Prozent, beim Gegenstück «Blamage» wurde in 90 Prozent der Fälle an Männern gemäkelt. 

Dass schon nur das Auszählen und das Thematisieren bei Blattkritik-Sitzungen etwas bringe, zeige sich besonders deutlich bei der Rubrik «Augenzeuge»: Während im ersten Quartal 2019 nur 29 Prozent der Porträtierten weiblich waren, waren es im vierten Quartal schon 50 Prozent und im ersten Quartal gegen 70 Prozent.