Die EU-Institutionen haben sich in der Nacht auf Samstag nach 16-stündiger Verhandlungsrunde auf eine Version eines neuen Regelwerks für Internetkonzerne wie Google und Amazon geeinigt.
Mit dem Gesetz über digitale Dienste müssen Onlineplattformen künftig unter anderem verstärkt gegen Hass- und Falschnachrichten und andere illegale Inhalte vorgehen.
Der «Digital Service Act» verlangt, dass illegale Inhalte wie Hassrede schneller aus dem Netz entfernt werden, schädliche Desinformation und Kriegspropaganda weniger geteilt und auf Online-Marktplätzen weniger gefälschte Produkte verkauft werden.
Das Gesetz baut auf den Grundsatz: «Was offline illegal ist, soll es auch online sein.» Anbieter digitaler Dienste sollen von Rechtssicherheit und einheitlichen Regeln in der EU profitieren. Nach jahrelang vernachlässigter Regulierung des digitalen Raums bekomme das Web somit erstmals seit 20 Jahren ein umfassendes, strengeres Regelwerk.
Plattformen mit mindestens 45 Millionen Nutzern müssen deutlich mehr Regeln befolgen als kleinere. Die Regeln werden für rund 20 Unternehmen Auswirkungen haben, darunter Google mit dem Tochterkonzern Youtube, Meta mit Facebook und Instagram, Microsoft mit seinem sozialen Netzwerk LinkedIn sowie Amazon, Apple und Twitter.
User sollen sehen können, mit welchen Einstellungen Werbung auf sie angepasst wird und ebenso, wer die Anzeige finanziert. Im Fall von Minderjährigen wird personalisierte Werbung vollständig verboten.
Auch im Bereich der Pornoplattformen soll es strengere Regeln geben. Grosse Plattformen müssen zum Beispiel gegen sogenannte «Rache-Pornos» vorgehen, also wenn Ex-Partner im Internet Nacktbilder verbreiten.
Damit das neue Gesetz nicht zum Papiertiger wird, sollen die Digitalkonzerne der EU-Kommission Zugang zu ihren Daten gewähren, damit sie die Einhaltung der Regeln beaufsichtigen kann. Bei kleineren Internetfirmen soll eine zuständige Behörde mit Ermittlungs- und Sanktionsbefugnissen in dem jeweiligen EU-Land, in dem die Firma ihren Hauptsitz hat, die Einhaltung der Regeln kontrollieren.
Die Strafen könnten bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens betragen.
In politischen Kreisen ist das Gesetz als «Durchbruch» bezeichnet worden. EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer historischen Einigung. «Unsere neuen Regeln werden die Online-Nutzer schützen, die freie Meinungsäusserung gewährleisten und den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnen.»
EU-Kartellamtschefin Margrethe Vestager kommentierte auf Twitter, der Digital Service Act sei die zweite Säule der Strategie, die Macht US-amerikanischer Technologie-Riesen einzuschränken.
Die Botschaft ist auch in den USA angekommen. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama meinte in einem Video auf Twitter, es lohne sich, einen Blick auf die EU zu haben. Die Regeln seien zwar «nicht exakt das, was die USA brauche». Sie zeigten aber die Notwendigkeit, sich mit anderen Staaten zu koordinieren.
Ähnliche Worte fand auch die frühere US-Aussenministerin Hillary Clinton.
Und wie geht es weiter? Nach der Einigung unter den beteiligten Institutionen wird es eine Periode der juristischen Kontrolle des Gesetzestextes geben. Eine finale Abstimmung im EU-Parlament wird realistischerweise für Juli oder September erwartet. Dann dürfte das Paket nach einer Übergangsfrist in der zweiten Jahreshälfte 2023 in Kraft treten.
Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) sieht in der nächtlichen Einigung von Brüssel «viel Licht, befürchtet aber auch weiterhin viel Schatten für die Digitalwirtschaft», wie der Verband in einer Stellungnahme am Samstag schreibt.
Man befürworte zwar die Aktualisierung der Digitalgesetzgebung im Zuge des «Digital Services Act», sehe allerdings auch die «Gefahr für erhebliche Einschränkungen und Rechtsunsicherheiten für Unternehmen». Sobald der endgültige Text des Kompromisses vorliegt, wird der BVDW eine weiterführende Einschätzung abgeben.