Content:

Dienstag
08.11.2022

Medien / Publizistik

Wer schafft es dieses Jahr aufs Podest als Informationsverweigerer des Jahres?

Wer schafft es dieses Jahr aufs Podest als Informationsverweigerer des Jahres?

Anne Lévy, Franz Immer und Walter Vogelsanger sind die grössten Informationsverhinderer des Jahres 2022.

Aus zahlreichen Vorschlägen von Journalistinnen und Journalisten hat der Vorstand des Vereins investigativ.ch die Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) wegen den geschwärzten Impfstoffverträgen auf die Shortlist gesetzt.

Und das Datenschutzleck beim Organspenderegister hat dem Direktor von Swisstransplant, Franz Immer, diese unschöne Ehre eingebracht. Als Dritter ist der Schaffhauser Regierungsrat Walter Vogelsanger wegen der Diskreditierung von Recherchen rund um einen Missstand in einem Schaffhauser Heim für den «Goldenen Bremsklotz 2022» nominiert. Vogelsanger hat auf die detaillierte Anfrage zu den Vorwürfen nicht geantwortet.

BAG-Direktorin Anne Lévy antwortete auf die Informationsverhinderung. Vorab, worum ging es? «Statt Transparenz zu schaffen, wie sie Medienschaffende, Parlamentarier und Parlamentarierinnen und Private eingefordert hatten, versorgte das BAG die Öffentlichkeit mit Seiten voller schwarzen Balken. Pauschal begründet – und nicht wie von der Rechtsprechung verlangt detailliert – verwies das BAG auf Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse der Hersteller», fasst investigativ.ch den Sachverhalt zusammen.

«Weder der Kaufpreis einer Impfdosis noch Hinweise zu Vertrags- und Haftungsbedingungen waren den Dokumenten zu entnehmen. Der Vorwurf, den sich das BAG im Fall der Impfstoffverträge gefallen lassen muss: Es geht fahrig mit dem Öffentlichkeitsgesetz um, schwärzt lieber zu viel (als zu wenig) und orientiert sich nicht an einer vom Öffentlichkeitsbeauftragten und Gerichten formulierten, guten Umsetzungspraxis.»

Die Antwort der Direktorin des BAG: «Wir erachten die in Ihrem Schreiben erhobenen Kritikpunkte als klar nicht zutreffend. So verweisen wir Sie gerne darauf, dass das BAG jederzeit dem gerade während der Pandemiezeit sehr verständlichen Interesse der Öffentlichkeit und der Medienschaffenden durch eine transparenz-freundliche Praxis nachkam. So gingen beispielsweise im Jahr 2021 beim BAG zahlreiche Einsichtsgesuche nach BGÖ ein, wovon alleine 217 Corona-relevante Dokumente betrafen (vgl. hierzu die Statistik im Jahresbericht 2021 des EDÖB). Lediglich bei zwei (sic!) Gesuchen konnte der Zugang nicht gewährt werden, während bei 82 Gesuchen die nachgefragten Dokumente vollständig offengelegt werden konnten. Bei weiteren 93 Gesuchen konnten die einverlangten Dokumente mit gewissen Abdeckungen oder zu einem späteren Zeitpunkt zugänglich gemacht werden. Die restlichen Dokumente waren noch pendent beziehungsweise wurden zurückgezogen. Zudem hat das BAG die häufig nachgefragten Protokolle der Taskforce und anderes mehr stets proaktiv auf seiner Website zugänglich und damit für die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht. […]»

Und der Fall um den Direktor von Swisstransplant, Franz Immer, der durch eine Recherche des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) Anfang Jahr aufgeschreckt wurde – worum ging es? «Im Nationalen Organspenderegister von Swisstransplant sollen Personen ihren Willen zentral festhalten können, damit Ärzte entsprechend handeln können. Es sind sensible Daten in einer Datenbank, die allerdings gravierende Sicherheitsmängel aufwies», beschreibt investigativ.ch den Fall.

«Nachdem SRF Swisstransplant eine Woche vor Publikation mit der Recherche konfrontierte, schaltete diese zwar umgehend die Möglichkeit einer Anmeldung ab – mit dem Verweis auf ‚Vorwürfe‘ durch SRF. Doch kurz vor der Publikation informierte Direktor Franz Immer SRF, das Register wieder online zu schalten. Zudem kritisierte er die Recherche-Methoden als potenziell strafbar. Direktor Immer setzte dabei auf die jahrhundertealte Strategie des ‚Shooting the messenger‘. Er versuchte, die Arbeit des Investigativ-Journalisten zu kriminalisieren und die allfälligen negativen Folgen des Missstands dem Journalismus in die Schuhe zu schieben. Der Fall Swisstransplant ist ein besonders stossendes Beispiel dafür, dass Verantwortliche vermehrt Aufwand betreiben, Recherchen zu diskreditieren, statt das Problem zu beheben.»

Die Antwort von Swisstransplant-Direktor Franz Immer: «Danke für die Nomination für den ‚Goldenen Bremsklotz‘, dessen Annahme wir keinesfalls ausschlagen würden. Der Bremsklotz als solcher ist ein Element der Sicherheit. Er stabilisiert eine Fuhre, die ausser Kontrolle zu geraten droht und wandelt kinetische Energie in Wärme um. Und damit ist die Situation bei Swisstransplant nahezu punktgenau getroffen. Es freut uns, nimmt man die Arbeit von Swisstransplant so wahr, dass wir uns keinen Kontrollverlust leisten wollen. Verantwortungsbewusstes Handeln ist immer eines, das die Möglichkeit bietet, innert Kürze reagieren und stabilisieren zu können. Denn in unserer Verantwortung liegt es, Menschen in Ausnahmesituationen Struktur und Halt zu bieten. Menschliche Wärme ist zentrales Element unserer Arbeit, denn es geht hier um das Wichtigste überhaupt: Das Leben als solches und das Vertrauen darin, dass eine Organspende-Karte Sinn stiftet und Leben rettet.»

Und worum ging es im Heim «Hand in Hand» in Hemmental bei Schaffhausen? Die eklatanten Missstände waren dem Gesundheitsamt seit mindestens 2018 bekannt. Das haben Recherchen der «Schaffhauser AZ» durch Journalist Mattias Greuter aufgezeigt.

Es ging um mangelnde Hygiene, verweigerte Pflegeleistungen, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch durch die Leitung auch während deren Arbeitsschichten. «Im Zuge der Recherchen der ‚Schaffhauser AZ‘ waren für Regierungsrat Walter Vogelsanger aber nie die Missstände im Heim das Problem, sondern die Recherchen selber. Als Walter Vogelsanger an einer Sitzung der Gesundheitskommission kritische Fragen beantworten musste, diskreditierte er die Recherchen der AZ: Er finde es ‚erschreckend, wie schlecht der Artikel in der AZ geschrieben war und wie offen die Bevölkerung für Skandalisierung ist‘», beschreibt investigativ.ch den Ablauf.

Für den Artikel gewann Mattias Greuter den ersten Platz beim Swiss Press Award in der Kategorie Text und wurde Swiss Press Journalist of the Year 2022.

Die Siegerin oder den Sieger des Schmähpreises «Goldener Bremsklotz 2022» eruieren die Mitglieder von investigativ.ch durch eine Abstimmung.

Die Preisverleihung findet am 21. November um 18 Uhr in Zürich statt.